Greyerzersee

17.09.2018 Pont de Corbières – Pont de Corbières (oberes Seebecken)

“Weil es ihn gibt”, soll ein Wissenschaftler im letzten Jahrhundert geantwortet haben auf die Frage, weshalb die Menschheit auf den Mond dränge. Ähnlich ergeht es mir mit dem Greyerzer See. Ich weiß allerdings nicht, ob ich ihn im letzten Jahrhundert schon kannte. Der Stausee in den Freiburger Voralpen warb in keinem Schulbuch für einen Besuch.

Im Internet macht sich die Wanderbeschreibung stark für die Bewältigung der Marathon-Distanz in drei Tagesetappen. Was vortrefflich mit einem Besuch meiner Schwester Marieluise im freiburgischen Tafers kombiniert werden kann. Was erwartet mich wohl in der Wirklichkeit, wenn der Beschrieb im Netz keine zehn Zeilen füllt? Michiko gewichtet das Risiko für sich als zu hoch, sie widmet sich derweil der Verwandtschaftspflege.

Der Einstieg für alle drei Etappen beginnt bei der Bus-Haltestelle Pont de Corbières, wo die Strasse den Stausee überquert. Ganz in der Nähe steht eine Info-Tafel mit der Kilometerzahl null. Die erste Tagesstrecke umrundet den oberen Teil des Sees und endet wieder in Pont de Corbières. Ab dem ersten Kilometer im waldigen Abhang werden Herz und Lungen getestet durch nahrhafte Auf- und Abstiege über Holztreppen. Ein probates Mittel gegen Mountain Biker, sie müssten ihr Vehikel an manchen Stellen schultern. Ich lege mir ein morsches Stück Holz als Wanderstock zu, um die Schritt-Sicherheit auf den Holzträmeln zu erhöhen:

Wanderstab (1983)

 

Hundert Jahre warst
Als ich vom Stamm dich barst
Und neuen Sinn dir gab
Als Wanderstab
 
Krummer, morscher Ast
Erstickt von Flechten fast
Und doch zu jung fürs Grab
Mein Wanderstab
 
Reiche mir die Hand
Ich zeige dir das Land
So lange ich dich hab
Lieb Wanderstab
 
Die Sorgen meiner Welt
Hab ich dir aufgezählt
Du lenkst mich davon ab
Mein teurer Wanderstab
 

Nach einer halben Stunde kommt mir eine Joggerin entgegen, welche den Parcours zum Intervall-Training nutzt. Bei Kilometer 3 begegnet mir eine Schulklasse, sonst bin ich als Alleinunterhalter unterwegs. Ab Kilometer 5 kann der Pfad auch weniger geübten Wanderern zugemutet werden. Ab Broc Fabrique bewege ich mich bereits auf dem Rückweg auf der anderen Seeseite und zwar auf einer Unterlage, die man als Wanderweg für jedermann bezeichnen darf. Er verläuft in Ufer-nähe, bald an der prallen Sonne, bald im bewaldeten Abhang. Ab und zu zeigt sich ein eigenwilliges Hexenhäuschen mit Seeanstoss; wie hat es wohl die Baubewilligung ergattert? Egal, in der Ruhe und Abgeschiedenheit des Pfades unter dem Laubdach, entlang des Ufers, mit Blick auf den See in Türkis, kann man jeden Atemzug genießen. Es lockt nirgends eine Beiz zum Innehalten. Deshalb erreiche ich bereits um 13:43 Uhr in Pont de Corbières den öV-Bus nach Fribourg. Mein iPhone resümiert 20735 Schritte für den Tag und ein Treppensteigen entsprechend 78 Stockwerken. Der Großteil während der anspruchsvollen ersten vier Kilometern.

 

18.09.2018 Pont de Corbières – Staudamm Rossens (linkes Seeufer)

Der Einstieg erfolgt nach Überqueren der Brücke und beginnt mit einem nahrhaften Aufstieg, der Mountain Bikern die Lust vergällt, die längste Teilstrecke über diese Rampe in Angriff zu nehmen. Gut so. Oben angelangt, windet sich die Waldstraße durch mächtige Tannen. Man saugt die morgenfrische Waldesruh in sich hinein. Die Kilometer-Anzeige beginnt wieder bei null. Noch vor Kilometer 2 geht der Weg über in die heile Welt des Landes «des Légendes de la Gruyère», wie Hinweis-Schilder verkünden. Im Dorf Vuippens endet diese Beschaulichkeit, der Wanderweg sucht wieder die Nähe des Stausees. Unmittelbar beim Pfahl 4 km lasse ich mich fehlleiten und finde erst nach km 7 auf den offiziellen Pfad zurück. Der unbeabsichtigte Abstecher zwingt mir Schnellstraßen und Autobahnlärm auf. Zurück auf dem Uferweg zieht die Serenität wieder ein, gelegentlich unterbrochen durch das eindringliche Dröhnen der Luftwaffe über meinem Kopf. Diese raumfüllenden Bässe verstummen bald mit ihren Verursachern hinter dem nächsten Hügelzug. An einem Holztisch am schattigen Ufer verzehre ich meinen Lunch. Schwer vorstellbar, das Tobel, das sich hier auftat, bevor es 1948 nach der Fertigstellung des Staudamms Rossens geflutet wurde. Von dort sind wir noch meilenweit entfernt. Das Auf und Ab wiederholt sich im Schatten des Hangwaldes. Erinnerungen an die ersten vier Kilometer von gestern werden wach. Ein kurzes Ah! entgleitet mir, als ich den Grund des zunehmenden Verkehrslärms im bislang stillen Wald gewahre: Hoch über den Baumkronen, auf schlanken Pylonen führt die Autobahn über den See. Der Schattenwurf seiner kühnen Betonstützen geht ansatzlos über in die Konstruktion selbst, welche sich aus dem Wasser in schwindelerregende Höhe erhebt und oben die Fahrbahn trägt. Eine halbe Wander-stunde später wiederholt sich das Schauspiel, da sich die Autobahn in luftiger Höhe ein weiteres Mal über den Stausee schwingt. Ich erlebe dieses Déjà-vu, als wäre ich eine Zeit lang in die falsche Richtung gewandert, aber die Kilometer-Markierungen versichern mir, dass ich in Bälde den Kragen der Staumauer Rossens vor mir erblicken werde. Das ist kurz nach Km 17 der Fall. Tagesziel ist der Damm und dieses erreiche ich früher als erwartet. Von dort folge ich der Strasse zur Bus-Haltestelle Rossens Village, was ich in zwanzig Marschminuten schaffe. Dort zeigt mein iPhone 25579 gemachte Schritte, sowie 60 Stockwerke «Treppensteigen» an.

 

19.09.2018 Pont de Corbières – Rossens (rechtes Ufer)

Wählt man als Ausgangspunkt für die finale Etappe den Meilenpfahl mit der Marke null, so muss man die halbe Distanz zur Bus-Haltestelle Corbières Village zurückwandern, um den Einstieg zu finden. Auf den ersten zwei Kilometern testen ein paar kurze aber schweißtreibende Aufstiege die Kondition. Alles, wie gehabt an den beiden Vortagen. Man meistert diese Prüfungen am besten mit einem Stock; Ersatz dafür ist im Bedarfsfall im morschen Unterholz problemlos aufzutreiben. Anfänglich führt der Weg dicht dem Ufer entlang, wo der See seine Wundernase in jeden noch so lauschigen Winkel steckt. Dann führt eine schmale asphaltierte Flurstraße durch das Dorf Hauteville (710 m ü. M.), wo sich der Kilometerpfosten 3 befindet. Nun quert der Pfad den sanften Abhang, vorbei an Gehöften und weidendem Vieh. Der See grüsst von etwas abseits. Nach Km 5 weicht der Wander-Parcours einem grösseren Tentakel des Stausees aus und führt hinauf zur Hauptstraße bei der Bus-Haltestelle Hauteville le Ruz. Rosinen-Picker unter den Wanderlustigen könnten sich hier für die verbleibenden zehn Kilometer anschließen. Ganz ohne Auf und Ab geht es auch auf dem weiteren Weg nicht, er sucht immer mal wieder die See-Nähe. Ein Golfplatz hat sich eines prächtigen Landstückes am Abhang bemächtigt, der Wanderweg zweiteilt es friedlich. Anschließend und für den Rest des Tages verläuft der Weg im Hang-Wald, wo bald durch eine Lücke im Geäst der Kragen des Stauwehrs erscheint. Diese Barriere, welche auch als Strasse dient, überquere ich sodann als Abschluss meiner Umrundung des Lac de la Gruyère. Km 12 ist mir als letzte Markierung aufgefallen; es scheint, dass die Macher des Info-Materials, wie schon gestern, die abschließende Strecke zur Bus-Haltestelle in Rossens Village zur Gesamtlänge dieses Teilstücks einrechnen. Dort zeigt mein iPhone 23426 bewältigte Schritte an und in der eigentümlichen Kategorie Treppensteigen die Zahl 49. Heute sind mir auf dem allerletzten Kilometer zwei Damen begegnet, sonst habe ich den Weg im Alleingang bewältigt. Ob diese Abstrafung eines durchwegs gut ausgebauten Parcours den nicht zu unterschätzenden konditionellen Voraussetzungen geschuldet ist, oder ob das Manko an Beizen am Wegrand hineinspielt, kann ich nicht abschließend beurteilen.

Copyright 2018 by Josef Bucheli

Für ein 22-Minuten-Video nachstehenden Link anklicken:

for a 22 minutes video around lake Gruyere in 3 days click hereafter:

https://photos.app.goo.gl/Na9fWmLwu9QmsRs38

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