Irlandreise 2009 im Mietwagen
Ruhiger Flug nach Dublin. Erst beim Landeanflug Bodensicht.
Bei der Gepäckausgabe schnappt eine Dame meinen Koffer vom Förderband und verschwindet damit. Dafür dreht ein ähnliches Gepäckstück seine Runden auf dem Band. Fünf Minuten später ergreife ich den Doppelgänger und will Adresse und Rufnummer notieren. Da schuppst mich die Dame von hinten: Das sei ihr Koffer, meiner liege noch auf dem Karussell.
„…und den haben Sie soeben dorthin zurückgelegt!“
entgegne ich ihr, was sie kleinlaut einräumt.
Am Schalter der Mietwagen verweist die Angestellte auf einen bereitstehenden Bus, der uns zum Parkfeld fährt, einige Fahrminuten vom Flughafenareal entfernt. Dort versteht man nicht, dass die administrative Arbeit nicht am Flughafen erledigt wurde. Trotzdem kriege ich den bestellten, beinahe fabrikneuen Opel Corsa. Auf geht’s Richtung Süden, erst über die Ringstrasse M50, dann M7, später N7. Ich überlege: M steht für Motorway, richtungsgetrennte Autobahn, N für Nationalstrasse. Einige Abschnitte sind gebührenpflichtig, aber wir sehen keine Zahlstelle. Man brauche sich keine Gedanken über das Entrichten von Mautgebühren zu machen, diese würden automatisch anhand der Wagenkontrollnummer erfasst und bei der Rückgabe des Mietautos meiner Rechnung belastet, selbst wenn ich den Obolus an einer bemannten Zahlstelle bereits entrichtet hätte, hatte ich vom Autoverleiher erfahren.
Aufgrund des regen Verkehrs in der Region Dublin gilt meine Aufmerksamkeit ganz der Strasse, wo Linksverkehr herrscht. Die Wegweiser sind politisch korrekt zweisprachig, auf Englisch und Gälisch angeschrieben, weshalb es ratsam erscheint, sich anhand der eindeutigen Strassennummern zu orientieren.
Mein Schwager Leo Vaucher, der mit mir Irland in zehn Tagen bereisen will, sorgt als Kopilot für die nötige Sicherheit beim ad hoc Kartenlesen. Widersprüchliche Verkehrszeichen fallen schon bald auf. Statt die Hunderterbeschränkung vor Kreuzungen aufzuheben, ist „SLOW“ in die Fahrbahn graphiert.
Auf der über dreihundert Kilometer langen Fahrt in Richtung Killorglin tritt der Scheibenwischer mehrmals für Minuten in Aktion. Soviel zum Wetter, das sich wohl täglich ins Gespräch bringen wird. Ansonsten herrscht gute Fernsicht auf eine eintönig flache Landschaft, die recht selten durch Ortschaften abgelöst wird.
In einer solchen – Newcastle West – parken wir und betreten erstmals einen Pub, der gleich in mehrfacher Hinsicht mit mitgebrachten Vorurteilen aufräumt: Das Lokal ist sauber, gut gelüftet, menschenleer, und der Barman oder die Bardame – ganz einig sind wir uns da nicht – schenkt auf Wunsch sogar alkoholfreies Bier aus. Ausserdem spricht er/sie deutsch und das mit sichtlichem Vergnügen.
Ab Killorglin gerät Leos Lotsendienst ins Stocken. Der letzte Abschnitt führt durch enge Strässchen, die auf der Karte fehlen. Bei einer Kirche, die als Referenzpunkt dient, ruft mein Kopilot seine Bekannte, Brigitte Muth-Oelschner, an, die uns postwendend abholt und zu ihrem Grundstück mit Meersicht eskortiert.
Dort machen wir auch Bekanntschaft mit ihrem derzeit arbeitslosen Sohn Chris und dem hyperaktiven Hund Benny. Dan Griffin, ein irisches Urgestein auf Besuch, komplettiert die Whisky-Runde. Geschichten erzählen, gehöre wie das Wetter zum Alltag der Iren, lernt man früh beim Durchstöbern von Reiseliteratur über die grüne Insel. Musterchen folgen auch beim Nachtessen mit Chili con carne und im Restaurant, wohin wir anschliessend fahren. Wolken am fernen Horizont vergällen die erwartete Sonnenuntergangstimmung.
Müde vom langen Tag und meinem ersten Guinnessbier falle ich bei unserer Gastgeberin für die nächsten Tage ins Bett und merke am nächsten Morgen, dass mich der Schlaf während des Tagebucheintags mitten in einem Satz übermannte.
Brigittes einstöckiges Haus mit einigem an Umschwung liegt an einer dünn besiedelten, flachen Bucht. Der direkte Zugang zum paar hundert Meter entfernten Meerufer ist über ein Strässchen möglich. Etwas Provisorisches haftet dem einsamen Grundstück an. Die Einfriedung ist durch Rhododendren auf der einen sowie einen noch unbepflanzten Erdwall auf der andern Seite zu erkennen. Der Erdhügel entstand als Folge eines ausgehobenen Drainagegrabens, der den tiefen Boden entwässern soll. Der Zugang zum Grundstück ist durch Bäume und Sträucher sowie von Maschendrahtzäunen flankiert. Gallina, das Huhn, der Hund Benny sowie zwei Katzen teilen mit den Bewohnern diese „Symphonie pastorale“ im und ums Haus. Besonders Benny fordert mich sogleich unablässig zum Spielen auf. Er hechtet zirkusreif nach allem, was man um sich wirft. In Windeseile legt er das Objekt wieder vor die Füsse seines Gespielen. Auf Wunsch hebt er den Gegenstand mit der Schnauze auf und erspart dem Mitspieler das Bücken in der unmissverständlichen Erwartung, den erneuten Wurf in der Luft abzufangen.
Der Südwesten Irlands ist gesegnet mit landschaftlichen Reizen, da er von einer stark zerklüfteten Küstenlinie und einem bergigen Hinterland durchzogen ist. Die Höhe der Gebirgsketten bleibt unter tausend Meter, man wähnt sich beim Durchfahren trotzdem im Hochgebirge. Brigitte begleitet uns und moderiert meine Tagesfahrt über enge, kurvige Gebirgssträsschen, die wir mit Wanderern teilen müssen, weil eigentliche Wanderwege anscheinend Mangelware sind. Die kargen Bergflanken erscheinen höher als sie tatsächlich sind, da vegetationsarm und mit kantigen Felsbrocken übersät. Wasserläufe in Schlingen werden da und dort von alten Steinbrücken überquert, kleinere und grössere mit Inseln bepflanzte Bergseen grüssen vom Tal hinauf und machen die Abfahrt Richtung Killarney zu einem Erlebnis für uns. Wir stossen glücklicherweise auf wenig Gegenverkehr, der indes jedes Mal besondere Vorsicht erfordert. Bloss Meer und Küste sind nicht inbegriffen und für nächste Tage aufgespart.
Tagesziel ist die Touristenstadt Killarney, wo wir Leos und meine gemeinsame Nichte Sara Schönenberger am Ausgang ihrer School of English abholen. Sie ist seit ein paar Wochen hier und hat in der Freizeit bereits erstaunlich viele Ausflüge in die Region unternommen. Sie sprudelt vor Ideen und Vorschlägen. Ihr ausführliches Reisehandbuch Irland quillt von Lesezeichen. Gerne nehmen wir sie für das Wochenende als Reise(ver)führerin mit. Das entbindet uns von der Aufgabe, selbst abwägen zu müssen, welche Routen wir uns vornehmen.
Mächtige Wolkenformationen stehen vor der prallen Sonne, so dass das Thermometer unter zwanzig Grad bleibt. Im Italiener, dem von Sara gewählten Lokal, schlagen wir unser Wochenendprogramm zu Faden und kehren anschliessend an Brigittes Landsitz zurück.
Leo und ich unternehmen eines Morgens einen einstündigen Spaziergang an die Küste. Aus der Froschperspektive gewahrt man eine Reihe weiterer Häuser in dieser zersiedelten Region. Nachmittags fahren wir nach Killarney, welches lieblich eingebettet ist in eine Seenlandschaft. Glücklicherweise hat man der Stadt einen Nationalpark vorgelagert, wodurch die andernorts chaotisch anmutende Siedlungspolitik etwas eingedämmt wird. Sara hält ihr Angebot aufrecht, uns Samstag und Sonntag zu begleiten und folgt uns zu Brigittes Haus, wo sie mit uns übernachtet.
Früh morgens vermeiden wir den vermuteten Ausflugsverkehr am Wochenende und unternehmen eine Monstertour von über 350 km. Vom Ring of Kerry, den wir im Gegenuhrzeigersinn angehen, zweigen wir auf die Valencia-Inseln ab. Dort gelingen uns tolle Bilder des gleissenden Meeresspiegels, worin schwere Regenwolken mit den Sonnenstrahlen spielen. Auf der anschliessenden Skellig-Rundfahrt besuchen wir in wenigen Marschminuten eine spektakuläre Clifflandschaft. Auf der steil ansteigenden Strasse tauchen wir zeitweilig in eine Nebelbank ein. Am Fuss der andern Bergseite befolgen wir Ratschläge, die unsere zugegebenermassen gehobenen Ansprüche bei weitem verfehlen: Der Ring of Beara ermüdet und bietet nichts Aussergewöhnliches. Nach der mühsamen Fahrt durch diese Halbinsel suchen wir den schnellsten Weg nach Cork, der zweitgrössten Stadt des Landes.
Dort zeigt uns Sara das Sehenswerte zu Fuss. Wir beschliessen den Stadtrundgang mit einem feinen Nachtessen, welches unsere vom langen Tag ermüdeten Sinne wieder belebt. So nehmen wir die abschliessenden zwanzig Kilometer nach Kinsale unter die Räder, wo wir eine B&B (Bed and Breakfast) Unterkunft mit Meersicht belegen. Wir hätten die Tour durch das Küstengebiet idealer auf Samstag und Sonntag aufteilen, den Ring of Beara ganz auslassen können. Irgendwie mochten wir während des Tages nirgends lange anhalten und übernachten. Da wir seit frühmorgens unterwegs waren, hätten wir viel Zeit totschlagen müssen in so einem Fischerdorf ohne Strandpromenade und Sandstrand. Garstige Winde mit Temperaturen unter zwanzig Grad liessen uns nach kurzem Ausstieg jeweils wieder im Auto in Deckung gehen. Einige Male fiel Regen, für Minuten bloss, die übrige Zeit trieben schwangere Regenwolken mit der Sonne Versteckespiel.
Die Strassenverhältnisse waren sehr unterschiedlich, von schmal mit gelegentlichen Ausweichstellen bis komfortabel breit. Eine schöne Geste erfuhren wir in Cork von einer Autofahrerin, die bemerkt hatte, dass wir keine Parkscheibe mit führten. Sie kehrte kurzerhand zu ihrem Wagen zurück und holte eine originelle Einwegkarte, worauf man Ankunftsdatum und Zeitpunkt aufrubbeln musste.
Am Sonntag folgen wir von Kinsale aus so gut wie möglich dem Küstenverlauf. Dass die teils abenteuerlichen Fahrwege bis in die letzten Fransen der Küste nach Crookhaven, nach Mizen Head und Sheep’s Head wiederum über 350 km auf den Tageszähler addieren, wird erst allmählich klar. Ideale Witterungsverhältnisse bei bescheidenen Temperaturen begleiten diese abwechslungsreiche Fahrt, dokumentiert durch unablässiges Klicken an Zwischenhalten oder aus dem Wagenfenster von unserer landeskundigen und (attr)aktiven Beifahrerin Sara. Wetten, dass sie unsere unkritische Art, ihre Fahranweisungen zu befolgen, dazu verwendet hat, ihre letzten weissen Flecken an der Südküste auszufüllen. In Killarney entlassen wir sie in die Endphase ihres Sprachaufenthaltes. An ihrem temporären Wohnort darf sich unser Opel Corsa am obligaten Regensprutz des Tages etwas abkühlen.
Auf Irlands Strassen kann man zahlreiche Beweise für den angeblich chaotischen Charakter der Insulaner beobachten. Regionalstrassen können abschnittweise Nationalstrassen punkto Beschaffenheit übertreffen. Umgekehrt münden Nationalstrassen unverhofft in Teilstücke mit bedenklich schlechtem Belag, enger Fahrbahn und unsinniger, ja geradezu fahrlässiger Beschilderung. Hunderterbeschränkungen stehen Spalier an Stellen, die selbst bei 80 km/h vom Fahrer Mut erfordern, da unübersichtlich und eng. Umgekehrt bremsen Schilder die Verkehrsteilnehmer in bewohnten Gebieten auf 50 km/h, wenigstens die Ortsfremden, welche sich von möglichen finanziellen Sanktionen beeindrucken lassen.
Chris liebt Tiere. Er macht aktiv in einer Organisation mit, welche Rennhunde (Greyhounds) nach deren Wettkampfalter betreut. Diese Tiere werden einige Monate im Tierheim gehalten, kastriert und später an Hundeliebhaber in England und in weitere Länder verkauft. Das Heim finanziert sich massgeblich aus Spenden. Chris sieht es als selbstverständlich an, mehrmals wöchentlich unentgeltlich ein Rudel Gassi zu führen. Vergütet wird ihm lediglich der Treibstoff für Transporte von Hunden in seinem Wagen nach England. Die Fahrt zum Tierheim und seine Arbeit mit den Tieren verrichtet der Arbeitslose ohne Abgeltung. Auf dem Weg dorthin beobachte ich, wie er einen streunenden Hund aufstöbert und ins Tierheim oder gar zu sich nach Hause mitzunehmen beabsichtigt. Die Leiterin verwahrt sich dagegen und Brigitte würde ohne Zweifel ebenso ihr Veto einlegen.
Mit seiner Tierliebe stösst Chris nicht auf einhellige Begeisterung bei Brigitte; sie zöge es vor, wenn der über 30-Jährige sich eine eigene finanzielle Basis schaffen würde. Hotel Mama scheint ihm zu behagen, ermöglicht Brigitte andererseits, Auslandsreisen ohne Rücksicht auf die Haustiere zu unternehmen.
Ein kleiner Nachmittagsausflug bei bestem Wetter führt uns an den ausgedehnten Strand von Ballyheige. Dieser kann es bei Ebbe mit grossen Stränden anderswo aufnehmen, ist aber heute kaum besucht. Der feine Sand liegt trocken und kompakt, so dass Kinderwagen und Seifenkisten darum herumkurven können. Das Meer läuft hier sehr flach aus, man muss weit hinauswaten, um schwimmen zu können. Trotz praller Junisonne tut dies am heutigen Tag niemand, vielleicht weil eine leichte Brise vom Meer her die Temperatur auf gefühlte zwanzig Grad abkühlt.
Im Vorübergehen besuchen wir die verfallene Kathedrale von Ardfert. Ich kann mich nicht erinnern, schon irgendwo anders ein christliches Bauwerk als Ruine besichtigt zu haben. Vielleicht ein Bild mit Symbolcharakter im Hinblick auf den Zustand der von endlosen Sex-Skandalen gedemütigten Kirche Irlands.
Die Halbinsel Dingle bleibt unser letztes Ziel im Südwesten. Auch wenn sich unser Sensorium für Küstenlandschaften allmählich ausgereizt fühlt, wir widmen dieser gebirgigen Landzunge einen Tag. Dingle heisst auch der Hauptort, er liegt auf halbem Weg um die Halbinsel, bleibt aber ohne besonderen Reiz. Beim Verzehr eines lokal gefangenen Fisches handle ich mir Magenprobleme ein. Die Küstenstrasse rund um die Nase bildet das Herzstück der Fahrt. Schroffe Felsskulpturen bestreiten den Jahrtausende alten Kampf mit den ewigen Wellen. Zwischen den Fronten nisten weisse Sandbänke. Kahle, unwirtliche Bergflanken ragen bis über fünfhundert Meter auf und stecken heute ihren Kopf in eine Wolkenbank. Benachbarte Inseln erwarten Besuch durch Touristenboote. Wir umrunden die Nase, kehren nach Dingle zurück und queren den Connorpass auf dem Rückweg auf der nördlichen Seite der Halbinsel. Zum Abschluss bewältigen wir noch die benachbarte Halbinsel nach Fenit, als Zeitfüller.
Es gilt Abschied zu nehmen von unserer Gastgeberin Brigitte, von Chris, Benny, Gallina und zwei Katzen. Sie zusammen bilden hier eine etwas eigenartige Wohngemeinschaft. Gallina, das Huhn findet schon mal Essbares in der Küche, wenn sie sich über das Fenster hinein schleichen kann. Sie dankt es mit einem täglichen Ei; die Katzen verstehen sich gut mit Benny, der seinerseits zu jeder Tageszeit Einlass in alle Räume erheischt. Notfalls bellt er sich zum Ziel durch. Aber am liebsten spielt er im Freien, da kommt ihm Chris‘ Tierliebe zupass.
Dieser Chris muss für paar Tage nach Deutschland. Wir geleiten ihn zum Flughafen Kerry, der an unserer Route gen Norden liegt. Sodann steuern wir einer 1A-Sehenswürdigkeit Irlands zu: The Cliffs of Moher. Bis zwanzig Reisebusse entladen Touristen; auf dem PKW-Parkplatz stehen weitere hundert Fahrzeuge. Der Besuch der Klippen ist für die Besucher gratis, das Parken schlägt mit 8 Euros zu Buche. Der obere Klippenrand ist leider dermassen gesichert und verbaut, dass man kaum noch ein ehrfürchtiges Staunen hervorbringt. Ausserhalb der öffentlich zugängigen Zone kann man sich an den teils überhängenden Rand heranrobben, falls die Verbotsschilder und eine Gedenktafel für tödlich verunglückte Menschen an dieser Stelle ihre Wirkung verfehlen. Über hundert Meter tiefer wälzen sich die immerwährenden Wellen beharrlich gegen den Küstenrand. Das Schauspiel liesse sich von einem Boot aus am besten bestaunen, vermutlich verdrösse das Schaukeln in der wilden See manch einem das Spektakel.
Eine weitere angesagte Sehenswürdigkeit, die Aillwee caves, Höhlen im Burrengebiet, kann man getrost auslassen. Für sagenhafte 17 Euros wandelt man einige hundert Meter durch einen unterirdischen Gang, wo kaum bleistiftdünne Stalaktiten an der Decke hängen. Eine Freilicht Raubvogel-Schau am gleichen Ort weckt schon eher das Interesse des vorwiegend jungen Besuchervolkes. Der Speaker gewinnt die Aufmerksamkeit durch geschickt gestreute Infos. Die Tiere werden während der Show in die Freiheit entlassen und anschliessend mit Ködern wieder angelockt. Die Raubvögel verbringen nur wenig Zeit im Flug. Zum Jagen nach Beute fehlen ihnen als in Gefangenschaft Aufgewachsene Ausdauer und Wissenwie.
Durch die seltsam karstige Burrenlandschaft fahren wir Galway zu, besichtigen das Stadtzentrum in Kürze, essen prima chinesisch und nächtigen in einem ruhigen B&B für 30 Euros pro Person. Ein vollkommen blauer Himmel neigt sich über das Meer, wo Minuten zuvor Regen gegen die Scheiben unseres Zimmers geprasselt ist. Das Wetter in Irland kann in Windeseile wechseln.
Die Connemara genannte Region um die Westküste zwischen Galway und Westport ist über weite Strecken menschenleer, hügelig, seltsam abgeschieden. Grün rasierte Bergrücken kanalisieren die Winde. In die Länge gezogene Seen tapezieren die kupierte Landschaft. Schafe als Einzeltiere oder in kleinen Gruppen bewegen sich wie Maden im hohen Riedgras. In Cliften rasten wir kurz, darauf geht die Reise weiter nordwärts. Die Küstenlinie ist zerfranst. „La mer moutonne“ hat ein französischer Poet das Bild der aufgewühlten See geprägt, wo die Wellen sich bis weit hinaus kräuseln, was einer weissen Schafherde ähnlich sieht.
In Westport machen wir uns alsbald in Richtung Dublin auf, was weitere 230 km auf das Tacho unseres Mietwagens aufsummiert. Die Strasse ist über beinahe die ganze Strecke in einem guten Zustand, der Verkehr ausser in grossen Ortschaften mässig. In Dublin parken wir und flanieren ein paar Stunden durch einige Strassen in Flussnähe. Nachtquartier suchen wir nördlich der Kapitale. Mit einiger Mühe finden wir ein B&B vor Einbruch der Dunkelheit. In Flughafennähe hatte uns der überhöhte Preis erschreckt.
Dies ist erst das dritte Mal, dass wir B&B nutzen. Ich kann den Standard des ausgereiften Bett & Frühstück-Programms Irlands nur loben. Hier sind beispielsweise alle Zimmermöbel aus lackiertem Massivholz; Lavabo und WC Keramik im Muschel-Muster strahlen einen ‚touch of class‘ aus. Gediegen ist der Frühstücksraum vom runden Tisch bis zu den Vorhängen. Kein Gast wird je nach Namen, Adresse und Herkunft befragt. Er bleibt unregistriert und anonym. Gelegentlich lässt die Hausherrin dem Gast die Wahl, den geschuldeten Betrag sofort oder erst am Abreisetag zu entrichten. Wir entscheiden uns spontan für eine zweite Nacht in diesem B&B.
Am Tag vor dem Rückflug in die Heimat besuchen wir zwei Sehenswürdigkeiten nördlich des Dubliner Flughafens. Monasterboice ist gratis zugänglich und …bald erzählt. Die Grundruinen eines alten Klosters, von dem praktisch nichts mehr vorhanden ist, abgesehen von ein paar steinernen Hochkreuzen mit eingemeisselten biblischen Szenen. Ein Beobachtungsturm, der die Anlage dominiert, kann nicht bestiegen werden.
Wesentlich ansprechender sind die bis 5200 Jahre alten Ausgrabungsstätten von Newgrange. An drei verschiedenen Orten liegen Steinzeit-Grabhügel kolossalen Ausmasses. Mit Bussen werden ganztags Hunderte Besucher vom Visitor’s centre zu den Stätten hingekarrt. Knowth wurde zeitlich nach Newgrange wiederentdeckt und weitgehend im Originalzustand belassen. Der zentrale Grabhügel änderte Form und Funktion im Laufe der Zeit, bis der von mehreren Satellitenhügeln umgebene Korpus im 14. Jahrhundert unserer Zeitrechnung aufgegeben wurde. Bei der Wiederentdeckung im letzten Jahrhundert sah die Umgebung wie ein natürlicher Hügel aus. Newgrange hingegen wurde nach dem Gusto der Forscher restauriert. Das Kernstück der Anlage, der 18 Meter lange Gang zur Grabkammer, wurde wie angetroffen belassen. Der Innenraum ist vielleicht der erste von Menschen geschaffene Kuppelbau überhaupt. Der mit schräg über einander geschichteten Steinplatten erzeugte Raumkörper fasst gut ein Dutzend Besucher aufs Mal. Er hat nie einen Tropfen Regen eingelassen. Um die Zeit der Wintersonnenwende blinzelt das schiefe Sonnenlicht während einiger Tage für Minuten durch den Gang bis in diesen Raum hinein. Die mit Stein in Stein gemeisselten geometrischen Figuren im Innern und auf den tonnenschweren Steinblöcken rund um den Grabhügel entziehen sich einer gesicherten Deutung. Unter dem Begriff Archaeological Ensemble of the Bend of the Boyne erscheinen die insgesamt drei monumentalen Ausgrabungsstätten seit 1993 zu Recht im UNESCO Katalog der Weltkulturgüter.
1195 war der Kilometerstand unseres beinahe brandneuen Opel Corsa vor zehn Tagen. Bei der Abgabe stehen 3832 km drauf, was der Angestellte von Europcar mit einem ’hmm’ zur Kenntnis nimmt. Ebenso einen kleinen Kratzer auf der Seite, zu unbedeutend für eine Beanstandung. Da der Wagen mit gefülltem Tank abgegeben wird, werden € 67.50 meiner Kreditkarte zurückerstattet. Autobahngebühren oder gar Bussen vermerkt der Computer keine.
2637 km kreuz und quer durch Irland in zehn Tagen, das ist vielleicht irre. Die unablässigen rauen Winde lockten uns jedoch einfach nicht so oft ins Freie. Auch die Badehose blieb im Koffer. Beim erstaunlich geringen Verkehrsaufkommen über Land lässt sich auch während des Fahrens einiges von der Landschaft der grünen Insel aufschnappen. Ein paar Extra-Kilometer gehen auf das Konto Suchen und Finden von Reisezielen. Irgendwie scheint im Linksverkehr der Orientierungssinn etwas zu leiden…
Deshalb machen wir uns rechtzeitig auf die letzte Fahrstrecke zum Terminal des Autoverleihers. Mit Erleichterung können wir Rückschau auf ereignisreiche Tage halten und in den Duty-Free Shops des Airports ausgiebig nach Mitbringseln Ausschau halten.
Copyright © 2009 by Josef Bucheli