Kreuzfahrt 2015 Mittelmeer

Sonntag, 1. Februar 2015

Beim ersten Nachtessen auf der MSC Splendida werden Michiko und ich an den Tisch mit zwei weiteren Paaren aus der Schweiz platziert. Bereits nach kurzer Zeit wird klar, dass für alle Tischgenossen diese Kreuzfahrt zum jetzigen Zeitpunkt eigentlich zu früh kommt, dass aber der Preis so verführerisch war, dass man einfach zugreifen musste.

Unsere Route
Unsere Route

Die Affiche: Genua – Civitavecchia (Rom) – Palermo – La Goulette (Tunis) – Barcelona – Marseille – Genua.

Die Fahrt im Reisecar vom Inseli Luzern beginnt nach zwei Uhr früh, was dem Fahrer und uns eine durchwegs staufreie Fahrt bis Genua beschert. Dafür müssen wir im Terminal des Ausgangshafens ein paar Stunden ausharren, bevor wir an Bord gehen und unser mobiles Zuhause für die kommende Woche erkunden, sowie das Mittagsbuffet stürmen dürfen. Die Koffer finden den Weg in unsere Kabine nochmals ein paar Stunden später, da das Personal in diesem Hafen von besonders regem Passagierwechsel betroffen ist.

Genua, Sicht vom Schiff
Genua, Sicht vom Schiff

Willkommen an Bord! 

Im Namen der ganzen Besatzung und aller Mitarbeiter von MSC möchte ich Sie aufs Herzlichste an Bord der MSC Splendida willkommen heissen. Das im Jahr 2009 von Sofia Loren getaufte Schiff ist 333,30 Meter lang und 37,92 Meter breit. Wie alle Schiffe der MSC Flotte verbindet die MSC Splendida zeitlose Eleganz mit modernster Technologie und bietet Ihnen eine grosse Palette von Freizeitangeboten und Serviceleistungen. Ihre 1332 Besatzungsmitglieder sind für Sie da, um Ihren persönlichen Komfort und Ihre Sicherheit zu gewährleisten und dafür zu sorgen, dass Sie eine unvergessliche Kreuzfahrt verleben können. Wir wünschen Ihnen einen wunderbaren Urlaub! 

Der Kapitän, Mario Stiffa

So begrüsst uns das ‚DAILY program’, ab heute unsere Hauszeitung. Eine wärmende Nachmittagssonne erreicht unseren windgeschützten Balkon, bevor das Schiff Richtung Civitavecchia ablegt.

Bäderlandschaft auf Oberdeck
Bäderlandschaft auf Oberdeck

Bruno und Renata waren bis zur Pensionierung Besitzer einer Garage in Meggen, derweil der zweite Bruno und Ruth noch im aktiven Leben stehen und als Gemüsedetaillisten zum wöchentlichen Markt in St. Gallen fahren und ausserdem als Weinhandelsdetaillisten tätig sind. Aus Mangel an aktuellen gemeinsamen Erlebnissen dreht sich das Gesprächsthema vorwiegend um Probleme heutiger KMU. Ich kann nicht wirklich viel beitragen, ausserdem fordert mich das eklige Schaukeln, Schwingen, Pendeln, Wogen unseres schwimmenden Hotels, und das trotz anscheinend ruhiger See. Beim Flanieren durch die öffentlich zugänglichen Gänge und Räume behelfen sich Paare mit Einhängen; beim Tanzen gilt es, die zusätzliche Dimension zu beachten.

Tischgenossen: Joe, Ruth, Bruno, Renata, Bruno
Tischgenossen: Joe, Ruth, Bruno, Renata, Bruno

Die grossartige Sing-Show „Ricordando il Maestro Pavarotti“ im Strand Theater kompensiert für negative erste Eindrücke als Passagiere.

Montag, 2. Februar 2015 – Roma

Wenn man bedenkt, dass eine Romreise spielend mehr als unsere einwöchige Kreuzfahrt kostet, so darf ich von einem erfolgreichen Tag berichten. Im Fokus stehen die Vatikanischen Museen mit der Sixtinischen Kapelle sowie der Petersdom. Mit diesen Schwerpunkten ist man nicht allein unterwegs. Eine organisierte Tour erspart uns das Anstehen für Karten am Schalter. Die Leiterin schleust uns durch die Räume und kommentiert ihre Auswahl an Bild-Szenen und plastischen Kunstwerken über den e-Ohrwurm. Ich schalte auf Museums-Modus und lasse mich einfach von optischen und akustischen Eindrücken gleichsam berieseln. Irgendeine Kunst-Kritik wäre sowieso fehl am Platz an einem so einzigartigen Ort, wo die bescheidenste Marmorskulptur wohl jedem andern einschlägigen Museum weltweit die Ehre antäte. Im Gewölbe der Sixtinischen Kapelle geht das Detail im Gesamteindruck unter. Wer  in der Wahlkammer für Päpste fotografiert, womöglich noch mit Blitz, riskiert aus dem Ort hinauskommandiert zu werden.

Sixtinische Kapelle, Vatikan
Sixtinische Kapelle, Vatikan

In der Peterskirche hingegen darf frei gefilmt, fotografiert, geblitzt werden. Im grössten Gotteshaus der Christenheit überwiegt das Monumentale. Dass es sich bei den Bildtafeln um Mosaike handelt, erklärt die gegenüber den Gemälden in der Sixtinischen Kapelle weniger filigrane  Ausstrahlkraft. Hier überwiegt die architektonische Harmonie, die aus jedem Gesichtwinkel fasziniert.

Peterskirche, Teilansicht
Peterskirche, Teilansicht

Da am heutigen Tag Lichtmesse, Mariä Lichtmesse oder lateinisch  Praesentatio Jesu in Templo  gefeiert wird, bleibt der Petersdom am Nachmittag für Touristen geschlossen. Davon nicht betroffen ist die Vatikanische Post, von wo Kartengrüsse en gros in alle Welt hinaus abgeschickt werden. Mit bei  Sammlern beliebten Briefmarken des Kleinststaates.

Eine Reise dann und wann

Sich jeder leisten soll und kann

Warum nicht in den Vatikan

Wo’s Abendland begann?

 

Was da an Kunst anfällt

Ersetzt kein Geld der Welt

Und was vor allem zählt:

Dass sie dem Aug gefällt!

Kolosseum, Rom. Viel Bausubstanz wurde für die Peterskirche verwendet
Kolosseum, Rom. Viel Bausubstanz wurde für die Peterskirche verwendet

Unser Ausflugsbus beschliesst den Tag mit der Fahrt zu historisch interessanten Plätzen der Stadt Rom, woran kein Mangel besteht. Lagen am Morgen noch Schneeresten an den Strassenrändern, so strahlt am Nachmittag die Sonne über die Ewige Stadt. Trotzdem wird es nicht richtig warm. Man möchte freilich nicht tauschen mit einem Sommertag, wenn ein Hitzestau den Eisverkäufern zu Hochkonjunktur verhilft.

3. Februar 2015 – Palermo  

Ankunft auf Sizilien gegen Mittag. Genug Zeit, vorher im Gym-Studio des Schiffes überflüssige Kalorien loszuwerden. Die Benutzung der Geräte ist auf 25 Minuten beschränkt, aber besteht kein Andrang, kann man ein Mehrfaches davon beanspruchen. Nach dem anschliessenden Frühstück planschen wir in einem der Sprudelbäder auf Oberdeck. Hier tummeln sich vornehmlich Chinesen. Wie Nancy aus Peking, die uns ihre achtjährige Tochter Gina und deren Freundin Jessica vorstellt. Welches ihr chinesischer Name ist, verrät uns die Verkäuferin von Mars und Snickers nicht. Sie lebt mit ihrer Mutter zusammen, ihr Mann ist Fahrer. Ihr Englisch hat sie auf der Uni gelernt. Auch rühmt sie Japan wegen der Sauberkeit, die sie auf ihrer Reise im Vorjahr bewundert hat.

Palermo, wenig Fotosujets
Palermo, wenig Fotosujets

Da für heute Abend das Gala-Dinner angesagt ist, schauen wir noch schnell beim Coiffeursalon hinein, der als Promotion einen Haarschnitt für 15 Euro anbietet. Bevor wir in Sizilien an Land gehen, buchen wir für den morgigen Tag in Tunesien einen Ausflug nach Karthago und Medina.

Palermo grenzt unmittelbar an die Anlegestelle der Kreuzfahrtschiffe. Die Strassen der Stadt sind nass und die umliegenden Hügelzüge Wolken verhangen. Während unserer Stadtwanderung fällt kein Niederschlag. Besonderen Sehenswürdigkeiten begegnen wir nicht. Nach Rom hat es wohl jede Stadt schwer, den oberflächlichen Touristen zu beeindrucken. So fällt uns viel mehr auf, wie jeder Platz, alle Strassenränder mit Kleinwagen und Motos tapeziert sind. Trotzdem bleibt der fahrende Verkehr beachtlich. Es fragt sich, wo die Fahrzeuge unterwegs parkieren können, Parkhäuser sind so selten, wie sehenswürdige Gebäude. Mehrgeschossige Wohnhäuser zeichnen sich aus durch schmale Balkone, die gerade einmal Platz für ein paar Topfpflanzen bieten. In Hafennähe wird man auf Schritt und Tritt von Anbietern einer einstündigen Tour durch Palermo angequatscht. Die preisgünstigsten würden uns für ein paar Euros mit ihrer fantasievoll bemalten Dreirad-Vespa durch den Verkehr lotsen. Fremdländische Männer bewachen ihren fliegenden Verkaufsstand auf den schmalen Trottoirs. Sie machen kaum Anstalten, uns in ein Verkaufsgespräch zu verwickeln. Alle bieten in etwa dasselbe feil: Accessoires für Handys, ausfahrbare Halterungen, um damit bessere Selfies zu schiessen oder den Auslöser über den Köpfen anderer betätigen zu können. Früher als vorgesehen, kehren wir auf unser Schiff zurück. Die dunklen Wolken haben sich verzogen, auf dem windgeschützten Balkon riskiert man einen schnellen Sonnenbrand.

MSC Splendida, über 1100 Balkonkabinen
MSC Splendida, über 1100 Balkonkabinen
Unsere Kabine (winke,winke)
Unsere Kabine (winke,winke)

Unsere MSC Splendida ist ein Riesenmonster. 333 Meter lang. Ich stelle mir das alte Schützenhaus in Altbüron, Kanton Luzern, vor und den Scheibenstand der 300-Meter-Anlage, ennet dem Rotbach, im Nachbarkanton Bern. Gross schien mir die Distanz in meiner Kindheit. Unfassbar, mir nun dazwischen unsern Ozeanriesen quasi als Talsperre vorzustellen. Dazu kommen die 16 Stockwerke. Merkt man im Gym, dass man in der Kabine etwas vergessen hat, so sagt man nicht einfach: „Ich bin in ein paar Minuten zurück!“ Schon gefühlsmässig nicht.

4. Februar 2015 – Tunis

Im Arabischen macht man keinen Unterschied in der Bezeichnung von Tunis, der Hauptstadt und Tunesien dem Land. Im Altertum verstand man unter Afrika das heutige Tunesien und angrenzende Regionen, heute einen ganzen Kontinent.  Als Landesausflug wählen wir Karthago und Medina. Medina heisst ‚Stadt’ auf Arabisch. Was heute als Medina gilt, ist der alte Teil der Hauptstadt Tunis. Es gibt dort enge, verwinkelte Gässchen. Allein liefe man vermutlich achtlos durch dieses Labyrinth, bis man in der Bazarzone emsig beworben wird. Unser einheimischer Führer weisst uns auf Schritt und Tritt auf Einzelheiten hin. Sein Wissen umspannt mehr als zwei Jahrtausende.

Medina, Altstadt von Tunis
Medina, Altstadt von Tunis

Dasselbe gilt auch beim Dozieren in den Ruinen von Karthago.

„Was ist der Ursprung des deutschen Wortes ‚Sarg’?“, möchte er interaktiv erfahren. Es kommt vom griechischen Wort ‚Sarkophag’ und die wörtliche Übersetzung lautet Fleischfresser. Ich kenne Karthago aus dem Lateinunterricht:

Ruinen von Karthago, Teilansicht
Ruinen von Karthago, Teilansicht

Ceterum censeo Carthaginem esse delendam (lateinisch für: ‚Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Karthago zerstört werden muss‘), eine Satzwendung, welche angeblich ein wichtiger Römer am Briefende anfügte, um daran zu erinnern, wer im Altertum der grösste Gegner Roms war.

Das gelang den Römern denn auch nach drei Punischen Kriegen. Punier, so unser Führer, gingen aus der Verschmelzung von Phöniziern und Berbern hervor. Das archäologische Ausgrabungsgelände Karthagos ist UNESCO-Weltkulturerbe. Man begegnet eindrucksvollen Mauern und Gebäudegrundrissen, denen wiederum unser Vielwisser Leben einhaucht.

Mittlerweile erschallt ‚Time to Say Goodbye’ aus den Lautsprechern der MSC Splendida im Hafen von La Goulette, was den Aufbruch auf die längste Teilstrecke bedeutet, mit Ziel Barcelona.

5. Februar 2015 – Auf hoher See

Die See gebärdet sich wild, die Wellen überschlagen sich zu schaumigen Eruptionen. Selbst wenn die Kabinenwände knatternde Töne abgeben, ein Gefühl von Seekrankheit kommt bei mir diesmal nicht auf. Wir strampeln ab sechs Uhr früh zweimal 25 Minuten im Gym, legen uns dann nochmals eine Stunde schlafen und begeben uns anschliessend auf Deck 14, wobei wir unterwegs unsere Tischnachbarin Ruth, die zufällig gleichzeitig mit identischem Ziel ihre Kabine verlässt, zum Erreichen des AHV-Alters beglückwünschen.

Ob wir den freien Tag dazu benützen,  die Schäflein im aufgewühlten Meer zu beobachten, oder ob wir ausschlafen oder aber einigen der angebotenen Tagesaktivitäten nachgehen, wir entscheiden spontan. So könnte man nacheinander an Tanzstunden teilnehmen, für Mazurka, Foxtrott, Bachata, Tarantella und Salsa Cubana. Oder einem Spanischkurs folgen und Unterhaltungsspiele aller Art über sich ergehen lassen. Nicht ohne Situationskomik verspricht das Beobachten von gewissen Chinesinnen beim Futtern. So liess eine Frau beim Frühstück etwa drei gesottene Eier in ihrer grossen Handtasche verschwinden, nebst Brötchen und Früchten, während weitere vier Eier im Teller auf den Direktverzehr warteten. Daneben lagen eine Eieromelette und ein Schöpflöffel Rührei auf dem Plastikteller. Nachdem man 20 von 24 Stunden an verschiedenen Essensausgabestellen gratis Kalorien hamstern kann, ringe ich um eine Erklärung. Mein Chinesisch reicht nicht aus, dies direkt zu erfahren. In Tunesien konnte man zwar ein paar Stunden an Land gehen, aber die MSC Splendida verliess den Hafen bereits am Nachmittag wieder, genügend Zeit, sich zur Überbrückung bis zum Nachtessen an die Tröge zu setzen. Und die Jagd mit vollen Tablaren nach freien Tischen in den Selbstbedienungsrestaurants reisst zu keiner Tageszeit ab.

Man kann mittags ebenfalls im gediegenen Restaurant mit Bedienung tafeln. Im Gegensatz zum Abend ohne feste Sitzorder. Man wird an einen Tisch begleitet, der noch nicht komplett besetzt ist. Michiko plagen Nausea, Übelkeit infolge fortgesetzt starken Seegangs. Ihr diskretes Verschwinden bringt mich ins Gespräch mit einem französischen Professor im Ruhestand. Unsere Konversation über Allah und die Welt verlängert sich in einer Bar.

Als hätte Michiko ihre Seekrankheit überwunden, überredet sie mich für eine Lektion Foxtrott auf wackeliger Tanzdiele im 16. Stockwerk. Anschliessend folge ich ihr als Beobachter einer halben Stunde Unterricht in Pilates. Michiko muss sich vor dem Ende der Lektion ein weiteres Mal übergeben. Unser Ozeanriese kann keine Rücksicht auf die Höhe oder Richtung der Wellenfront nehmen, so zischt die Gischt halt gegen den metallenen Fremdkörper, wo sie ihn antrifft, was sich in unvorhersehbaren Seitwärtsbewegungen im Innern überträgt. Indem ich diese chaotische Schaumschlägerei als Naturspektakel betrachte, verspüre ich diesmal keinerlei Unwohlsein.

6. Februar 2015 – Barcelona

Barcelona, La Sagrada Familia, im Bau
Barcelona, La Sagrada Familia, im Bau

 

Die See hat sich seit den Morgenstunden beruhigt, der Himmel über Barcelona ein einziges Blau. Der Weg vom Landungspier in die katalonische Hauptstadt führt über eine lange Betonbrücke, die den Bogen an Land schlägt. Darauf verkehren die Ausflugsbusse und Taxen. Zwei Trottoirs sind für Leute wie wir, die nach dem morgendlichen Gang in den Gym weiteren Bewegungsdrang verspüren.

Ungefähr auf halber Distanz des gut zweistündigen Marsches zur Basilika Sagrada Familia passiert es: Ich muss. Unverzüglich. Auf der Stelle. Der Seitensprung in eine Tapas-Bar rettet mich. Wenige Minuten später können wir bei einem Cafe con leche werweissen, was ich wohl in dieser Situation als Teilnehmer einer geführten Gruppentour gemacht hätte. Solche unangekündigten Attacken aus der Magen-Darm-Gegend sind glücklicherweise selten bei mir. Das letzte Mal vor vierzig Jahren im Autobus von einer Provinzstadt in Mexiko auf dem Weg in die Hauptstadt. Es war gegen Mitternacht. Der Bus hielt kurz an einer Haltestelle und ich erklärte dem Fahrer mein Problem.

„Ich warte nicht!“ war seine barsche Antwort, was im damaligen Zeitpunkt keine Lösung für mich bedeutete. Ich floh an den Ort der Erleichterung und stand, kaum eine Minutenumdrehung später, wieder auf der Strasse. Weit und breit kein Bus in Sicht! Keine Ahnung, in welcher Richtung er sich aus dem Staub gemacht hatte. Nirgends Strassenschilder, die den Weg in die Kapitale gewiesen hätten, welche eine halbe Tagesreise entfernt war. All meine Kleider, Ausweise, Geld, lagen im Fluchtfahrzeug! Die Idee, ein Taxi zu nehmen, kam mir nicht, da ich ja kein Geld auf mir trug. Ziemlich ratlos stellte ich mich einem anrückenden Bus in den Weg. Der Chauffeur begriff mein Problem. Er testete mich mit dem Einwand:

„Ohne Bezahlung nehme ich dich nicht mit!“

Dann brauste er trotzdem los. Eine gefühlte halbe Stunde später tauchten die Rückstrahler eines Busses auf. Der Fahrer gab seinem vorderen Kompagnon optische Zeichen, ihn überholen zu lassen. Dann zwang er ihn, anzuhalten. Ich wechselte das Fahrzeug, ohne den rücksichtslosen Chauffeur eines Blickes zu würdigen, denn im hinteren Teil des Autocars bewachten vier alte Frauen gemeinsam meine Siebensachen und applaudierten lauthals, als sie den verlorenen Sohn wieder hatten.

La Sagrada Familia, Inneres
La Sagrada Familia, Inneres
La Sagrada Familia, Gewölbe
La Sagrada Familia, Gewölbe

Zurück zur unvollendeten Sagrada Familia in Barcelona, für mich die schönste Kirche weltweit nach dem Petersdom zu Rom. Jeder Vergleich hinkt, aber was Gaudí (1852 – 1926) hier ausgedacht hat, gehört in eine eigene Kategorie. Der Architekt ist seit bald neunzig Jahren tot, durch einen Unfall mit der Strassenbahn. Ob sein Monumentalwerk, wie irgendwo gelesen, bis zu seinem hundertsten Todesjahr im Jahr 2026 fertig gestellt sein wird? Warten wir einmal ab. Wollte Gaudí den verspielten Barockstil vieler Gotteshäuser Spaniens mit Gotik vermählen? Was hier zu Recht schon während der Bauzeit in die UNESCO Liste als Weltkulturerbe aufgenommen wurde, sucht seinesgleichen. Der üppigen Turmlandschaft aussen steht das schlicht geniale Innere entgegen, wo schlanke Säulen gegen oben wie Äste das Gewölbe tragen. Auch durch unterschiedlich farbige Fenster entfalten die Innenwände ohne Gemälde eine zeitlose Eleganz und Unverwechselbarkeit. Ich lasse mir beim Betrachten gerne Tränen der Rührung angedeihen. Man möchte Gaudí stundenlang zuhören, wenn er seine Ideen erläutert. Da hat sich die Dreiviertelstunde gelohnt, um für Karten anzustehen. Der Erlös, fünfzehn Euro pro Erwachsenen, hilft beim Vollenden dieser päpstlichen Basilica minor (2010 durch Benedikt XVI. geweiht). Gaudí fand seine letzte Ruhestätte in der unvollendeten Krypta der Kirche, von wo er wohl deren Vollendung überwacht. Für einmal begrüsse ich die Einleitung des Seligsprechungsverfahrens der römisch-katholischen Kirche für diesen genialen spanischen Architekten. Mehr zur Sagrada Familia unter:

http://de.wikipedia.org/wiki/Sagrada_Fam%C3%ADlia

Sagrada Familia, Panoramasicht innen
Sagrada Familia, Panoramasicht innen

Dass die Kassierin am Eingang ohne Ausweis nicht glauben mochte, dass Michiko und ich ‚jubilados’, pensioniert, sind, hat den Besuch positiv abgerundet…
Die anschliessende Stadtrundfahrt mit einem City-Ticket kann das Versprochene nicht einlösen. Es weht ein bitterkalter Wind auf Oberdeck. Strassen und Häuserfassaden hat man bald einmal satt. Die gebotene Möglichkeit, an jeder Haltestelle aus- und später wieder zuzusteigen, verträgt sich schlecht mit dem Fahrplan unseres Schiffes, so dass wir bei einer hafennahen Haltestelle Barcelona den Rücken kehren. Zurück auf der MSC Splendida erholen wir uns eine Dreiviertelstunde lang im Sprudelbad bei 37.5°.

7. Februar 2015 – Marseille

Nach dem üblichen morgendlichen Schwitzen im Gym und einem Frühstück im Restaurant mit Bedienung, legen wir uns eine Weile hin, entschlossen, Marseille keinen Besuch abzustatten. Gegen elf Uhr verlassen wir das Schiff dennoch, auf der Suche vielleicht eines idyllischen Fischerdörfchens. Der Gang über den Landungspier ist etwa zwei Kilometer lang. Eine grüne Markierung führt direkt auf die Haltestelle des öffentlichen Busses #35. Der nimmt uns gleich mit an die Endstation im Zentrum Marseilles. Zu unserer angenehmen Überraschung entpuppt sich die Umgebung der Uferregion als äusserst sehenswert. Als Fixpunkt dient die Cathédrale de la Major. Eine kunstvoll aufgebaute Krippenlandschaft zieht die Blicke mancher Besucher im Innern auf sich. Beim näheren Hinsehen fällt ein Schild aus Karton auf:

„Tut uns leid, der kleine Jesus wurde gestohlen.“

Marseille, mit Cathédrale la Major
Marseille, mit Cathédrale la Major

Eine wahre Augenweide sind die architektonisch anspruchsvollen Museen am Litoral. Vom historischen Turm des Königs René aus umarmt man den alten Hafen mit seinen zehntausend Segelschiffen und Jachten. Man erkennt unmittelbar, die zweitgrösste Stadt Frankreichs hat es zu stattlichem Reichtum gebracht.

Marseille, Bootshafen
Marseille, Bootshafen

Auch für etwas Shopping bleibt Zeit. Dann besteigen wir wieder Bus #35 und nennen dem Chauffeur den Fahrpreis. Auf dem Hinweg verkaufte er nur Gästen ein Billett, die das genaue Kleingeld auf sich trugen. Die andern liess er trotzdem mitfahren. Im Kreuzfahrtschiff verkauften sie Karten für Pendelbusse nach der Stadt für ein x-faches.

Der Abstecher nach Marseille hat sich sehr gelohnt und meine Vorstellung dieser Hafenstadt total umgekrempelt. Allerdings hielten wir uns vorwiegend in Ufernähe auf.

8. Februar 2015 – Zurück in Genua

Seit Barcelona gleitet die MSC Splendida auf dem Meeresspiegel, ohne die leisesten Wellenbewegungen weiter zu geben an die

 

° 1115 Balkonkabinen

° 91 Kabinen mit Bullauge

° 283 Innenkabinen

° 41 Kabinen für Gäste mit Behinderungen

 

Sowie einer Anzahl Suiten für betuchte Gäste.

Genua, Morgenstimmung
Genua, Morgenstimmung

So erreichen wir wieder den Ausgangspunkt Genua am Sonntagmorgen gegen acht Uhr, als die Lichter aus Hunderten von Wohnblöcken an bester Hanglage allmählich ausgehen. Aus einiger Entfernung wirkt der Stadtkern nahtlos verdichtet, ziemlich einheitlich im Baustil, ohne sehr alte oder ganz moderne Gebäude.

 

 

Copyright 2015 by Josef Bucheli

 

Ich bin pensioniert, also bin ich