Jakobsweg Zentralschweiz – Fribourg (7.3. – 11.3.11)
7.3.11
Giswil – Brienzwiler; 35507 Schritte; 20 km
Auftakt gegen halb elf Uhr am Bahnhof Giswil. Bis Kaiserstuhl am Lungernsee steigen wir auf der historischen Brünigroute. Weil der Landgasthof Kaiserstuhl seinen Wirtesonntag einzieht, machen wir etwas später Mittagshalt im Restaurant des Campingplatzes Lungern. Wir sind froh um diese Wirtschaft, denn bis auf die Brünig Passhöhe gibt es keine weitere an der Via Jacobi.
Der Jakobsweg beansprucht abschnittweise die Sbrinz-Route der historischen Säumer. Letztere ist mit Via Sbrinz-Klebern ausgeschildert. Bald erreichen wir die Schneegrenze. Wir sind jenen Wanderern dankbar, welche vor uns ihre Spuren in die immer kompaktere Schneedecke gesetzt haben, damit wir uns an deren Fährte orientieren können.
Kurz hinter der Brünig Passhöhe (1000 m ü. M.) verabschiedet sich der Jakobsweg von der Via Sbrinz, welche Richtung Meiringen talwärts führt. Wir müssen nochmals etliche Höhenmeter zulegen und durch hohe Schneemassen stapfen. Mühsam wird unser Camino, als er stotzig Richtung Brienzwiler abfällt. Die obersten Passagen sind besonders heimtückisch. Selbst nachdem dichtes Buchenlaub den Schnee abgelöst hat, empfiehlt es sich, den steil und praktisch ohne Kehren angelegten Wanderweg weiterhin vorsichtig zu begehen.
In der Bifang Reitschule in Brienzwiler, direkt am Jakobsweg, übernachten wir. Die Gastgeber sind ausnehmend freundlich. Keine Fragen nach Namen und Adresse. Wir beziehen unser Zimmer, 300 Meter von der Reitschule entfernt, in einem Gebäude, wo wir als einzige einquartiert sind. Für das Nachtessen kehren wir in die Reitschule zurück. Keine Vorkasse, man vertraut uns voll: „Jakobspilger seien eine verlässliche Klientel“. So begleichen wir die Rechnung erst nach dem Frühstück am nächsten Morgen.
8.3. 11.
Brienzwiler – Interlaken; 49190 Schritte; 27 km
Raureif auf den Feldern lässt uns noch etwas frösteln gegen acht Uhr. Mit besten Erinnerungen verlassen wir Brienzwiler und können, nach dem ausgiebigen Frühstück, unterwegs auf das Mittagessen verzichten. Brienz und der gleichnamige See empfangen uns bei Sonnenschein. Der Jakobsweg führt entlang der rechten Strandpromenade. Schmucke Häuserfassaden im chaletähnlichen Holzstil säumen den Weg. Erste Blumen äugen aus den Gärten und künden den Vorfrühling an. Der Alpenwall auf der linken Seeseite spannt einen schneeweissen Vorhang hinter der ganzen Länge des Sees.
Wir halten uns an den ausgeschilderten Pfad. Dieser steigt alsbald einige hundert Höhenmeter an und fällt bei Oberried wieder auf Seeniveau, nur um auf dem Weiterweg Richtung Niederried erneut eine Höhenkurve zu beschreiben. Als wäre dieser Zeitlupen Roller-Coaster nicht genug: Eine siebzig Meter lange Hängebrücke über ein Tobel ist winters demontiert und zwingt uns zu einem halbstündigen Umweg hinunter Richtung Eblingen, bevor wir auf den Originalweg zurückfinden. Wir werden reich belohnt für unsere Mühe, denn der verschneite Alpenkranz auf der gegenüberliegenden Seeseite begleitet uns den ganzen Tag. Unterhalb der Baumgrenze mischt sich Grün als Tarnfarbe in das gleissende Panorama.
Als wäre dies ihr letztes Gefecht, rohren alternde Jets der Schweizer Luftwaffe durch das idyllische Stück Schweiz zwischen Meiringen und Brienzersee. Ihr Donnergrollen verstärkt sich mit den Echos aus beiden aufragenden Alpenwällen und beschallt flächendeckend jeden Winkel dieser sonst heilen Welt. Ironie des Schicksals: die Maschinen sind nicht allwettertauglich. Mit ohrenbetäubendem Lärm künden sie in der Vorsaison das schöne Wetter an…
In Interlaken geniessen schon recht viele Feriengäste ihren Kaffee oder Afternoon tea an der Sonne. Vom Denner neben unserer Alp Lodge holen wir das Nötige für das Abendbrot und speisen auf dem kleinen Balkon im 3. Stock, im Angesicht der bedächtig zwischen den Häuserfassaden fliessenden Aare und der an der fernen nördlichen Flanke des Niesen ohne Pathos herab scrollenden, dem Untergang geweihten Abendsonne. Wir haben richtig spekuliert: Im Sechserzimmer bleiben wir die einzigen Gäste für die Nacht.
9.3.11
Interlaken – Thun; 48674 Schritte; 27 km
Eine Etappe vor der Kulisse des Thunersees und den majestätischen Berner Alpen dahinter. Heute schimmern die Drei- und Viertausender leicht verklärt, doch von gebieterischer Grandeur. Im Mittelpunkt der Niesen, die imposante Pyramide im perlmutternen Hochzeitskleid, als hätte ihm noch kein Wesen seine Unschuld genommen. Der Reigen der tief verschneiten Gipfel beeindruckt auch einen deutschen Pilger, der uns beim Aufstieg zu den Beatushöhlen einholt. Karl-Heinz ist zu Fuss in München aufgebrochen und hat einiges zu berichten. Wir machen gemeinsame Sache, und er findet in Thun im selben B&B Unterschlupf.
Die rechtsufrige Seestrasse von ausserhalb Interlaken nach Thun, an der Mündung des gleichnamigen Sees, ist mit 20 km angegeben. Wie üblich gefällt sich der Jakobsweg in ständigem Auf und Ab. Zusammen mit den in beiden touristischen Kleinstädten anfallenden Wegstrecken erreichen wir das Tagesziel nach einem soliden Achtstundentag, ohne dass wir uns an diesem Aschermittwoch unterwegs längere Pausen gegönnt hätten.
Wettermässig haben wir bisher das grosse Los gezogen, wenn auch heute ein weicher Schleier das gewaltige Panorama nicht in 3D erscheinen liess, wie dies etwa bei Föhn der Fall wäre.
10.3.11
Thun – Rüeggisberg; 52508 Schritte; 29 km
Wir verlassen die Seenlandschaft und verschieben uns durch hügeliges Gelände entlang der weissen Voralpenwand. Die ländliche Gegend ist besetzt durch stattliche Bauernhöfe, die durch ihren Abstand zum Nachbargehöft die Grösse der Gutbetriebe abschätzen lassen. Sie alle bestechen durch ihren orttypischen Baustil. Über Generationen scheint sich ein Gleichgewicht von Familienbetrieben ähnlicher Grösse eingependelt zu haben. Das Kleingewerbe in den durchwanderten Dörfern beschränkt sich auf Käsereien, Sägereien, Landwirtschafts- und Fahrzeugwerkstätten.
Eine romanische Basilika bei Amsoldingen, aber auch weitere steinerne Kleinode am Wegrand, bereichern unsern heutigen Camino, der uns mit zahlreichen Richtungsänderungen über Hügel und Felder nach Rüeggisberg hinauf führt, eine Kanzel auf über 900 m ü. M. Im Halbkreis vor uns, wenn auch in dezenter Entfernung, die Berner Alpen und Voralpen, welche uns im B&B von Frau Trachsel, bei der Klosterruine, ins gefühlte Zentrum der Welt rücken.
11.3.11
Rüeggisberg – Tafers; 46344 Schritte; 25 km
Mählich senkt sich der Weg dem Kanton Fribourg zu. Die markante Voralpenfront verliert ihre Allgegenwart. Vor uns ausgedehnte, apere Hügelzüge. Vorbei an Gehöften, zuweilen querfeldein, erreichen wir die Brücke über die Sense und betreten damit den gleichnamigen Bezirk des zweisprachigen Kantons Fribourg. In Heitenried melden wir uns überfallmässig bei meiner Nichte Judith, welche uns spontan einen Teller Spagetti zubereitet.
Zum Hauptort des Sensebezirks, Tafers, ist es nicht mehr allzu weit. Dort stehen gleich drei Gotteshäuser auf dem Dorfplatz, wovon eine Kapelle dem hl. Jakobus geweiht ist. Hier weichen wir zwei Kilometer vom Jakobsweg ab, in Richtung Schwarzsee, um bei meiner Schwester Marie-Luise zu übernachten. Unser Reiseziel ist damit für diesmal erreicht, obwohl wir die verbleibenden runden zehn Kilometer nach der Stadt Fribourg am übernächsten Tag ebenfalls zu Fuss zurücklegen, von wo wir per Bahn in die Zentralschweiz zurückkehren.
Karl-Heinz verlässt uns allein Richtung Westschweiz, mit dem erhofften Endziel Santiago de Compostela, für welches er noch rund 1700 km vor sich weiss, will man einem Schild am Wegrand Glauben schenken.
Wir waren die ganzen fünf Tage vom Wetterglück begünstigt. Einzig blühende Felder und Obstgärten hätten uns auf diesem Wegabschnitt noch grösser ins Schwärmen bringen können.
Filmsequenzen von knapp 20 Minuten sind mit nachstehendem Link zu sehen:
Für den Jakobsweg Fribourg – Genf siehe:
http://joe.tyberis.com/swisscamino2/