Ein Schweizer Frührentner-Ehepaar unterwegs

August 29th, 2009

Die Schweizer Botschaft in Berlin an prominenter Stelle vor dem Reichstagsgebäude

Die Schweizer Botschaft in Berlin an prominenter Stelle vor dem Reichstagsgebäude

Bremen, Braunschweig, Berlin, Dresden, Regensburg und mehr

Seit 07:15 Uhr sind wir aus der Zentralschweiz en route Richtung Basel. Unser Sohn Benjamin sitzt am Steuer bis Frankfurt. Dort verabschiedet er am Flughafen seine japanische Freundin und kehrt anschliessend an seinen Wohnort Braunschweig zurück.

Mit Michiko als Beifahrerin übernehme ich sodann das Lenkrad bis zum Tagesziel Bremen. Das addiert gut 900 Tageskilometer auf den Zähler unseres Wagens.

Der junge Mann am Empfang des Hotels Mercure Hanseatic, in Marschdistanz zur Bremer Altstadt, fragt mich, ob ich eine angenehme Anreise gehabt hätte.

„Nein!“ entgegne ich seiner vermutlich rhetorisch gestellten Frage, denn wir irrten eine ganze Weile in der Stadt herum, da wir die entscheidende Ausfahrt verpasst hatten und dies erst bemerkten, als wir im Begriff waren, die Weser zu überqueren. Einen Stadtplan führten wir bloss für das touristisch interessante Zentrum bei uns. So mussten wir uns im Freitagabendverkehr durchfragen und gelangten eine Stunde später als erwartet in unser Zimmer für eine Nacht.

Die Wegbeschreibungen von Google Maps mögen über Land gute Dienste leisten, im ‚Nahkampf’ der Quartiere sind die Angaben eher gewöhnungsbedürftig. Es hilft mir als Fahrer wenig bei der Strasse x abzubiegen, wenn diese gerade dort nicht beschriftet ist. Kurz vor Frankfurt, um die Mittagszeit, war Benjamin an einem Media-Markt vorbei gefahren, zu schnell, um unserem Gedankenblitz zu folgen und dort ein Navigationsgerät zu kaufen. Ein solches hätte auch ihm geholfen, sein City-Hotel einfacher zu finden.

Zur gewiss längsten Tagesfahrt ist landschaftlich nicht viel zu vermerken. Wir passierten keinen einzigen Strassentunnel, was darauf hin deutet, dass die Autobahnen im Wesentlichen ebene Regionen durchmessen. Nach Frankfurt mehrten sich immerhin Talbrücken von jeweils einigen hundert Metern Länge. Sie ersparen es dem Trassee, topografische ‚Bodenwellen’ mitzumachen. Auf den Autobahnen herrschte der erwartet starke Verkehr. Vorbei an kilometerlangen Baustellen bildeten sich jeweils zähflüssige Kolonnen. Am Vortag von Mariä Himmelfahrt schien kaum jemand mehr zu arbeiten an den Nadelöhren der Fernstrassen. Selbst die überall sichtbaren Windkraftwerke schienen in Mikado-Stellung auf Wind zu warten. Die Aussentemperatur betrug zwischen 20 und 25°. Je nördlicher wir kamen, desto lichter wurde das Hellblau des Himmels.

Der Bremer Roland, die grösste und älteste derartiger Statuen in Europa, und das Rathaus im Zentrum der Hansestadt sind das Symbol für die bürgerliche Freiheit und Autonomie. (Baedeker)

Beim abendlichen Ausgang platzen wir in den dreitägigen La Strada genannten Internationalen Strassenkarneval. International ist nicht übertrieben, hört man doch ausnehmend viel Französisch im Publikum, während zahlreiche Performance-Künstler das Publikum auf Englisch, oder was sie darunter verstehen, unterhalten. Der Menge gefällt es, die Innenstadt ist abgeriegelt oder verkehrsfrei. Ob Bratwurst am Halbmeter für € 3.50 oder andere deftige Speisen, der Rubel rollt bei über 20° Celsius bis tief in die Nacht hinein.

Bremer Strassenkarneval - Anstehen für 1/2 Meter Bratwurst für EUR 3.50

Bremer Strassenkarneval - Anstehen für 1/2 Meter Bratwurst für EUR 3.50

Rathaus Bremen

Rathaus Bremen

Recht früh machen wir uns anderntags auf den Bummel in die uns jetzt vertraute Altstadt. Da alles touristisch Lohnenswerte eng beieinander  liegt, sind keine Orientierungshilfen nötig. Ausgehend vom Rathaus, das den Krieg – womit der 2. Weltkrieg gemeint ist – unbeschadet überlebt hat, kreisen wir die Quartiere zwischen der Weser und dem Stadtgraben ein. Das Rathaus wurde zusammen mit dem steinernen Roland davor zum UNESCO Welterbe ernannt. Damit hat es dem vormals beliebtesten Fotosujet den Rang abgelaufen: Den berühmten vier Bremer Stadtmusikanten, Esel, Hund, Katze, Gockel.

Bremen - mit Bremer Stadtmusikanten

Bremen - mit Bremer Stadtmusikanten

Wie wir am Vortag in den sommerlichen Strassenkarneval getaucht sind, so heute in den Massenevent Deutschland bewegt sich! Zu Hunderten  folgen zumeist junge Leute den Animatoren, schwitzen auf fest montierten Rädern oder stöbern nebenbei in passend aufgemachten Auslagen der einschlägigen Bekleidungsindustrie.

Glasmalereien verzaubern den Innenraum der Kirche

Glasmalereien verzaubern den Innenraum der Kirche

Deutschland als letztes unserer Nachbarländer für einen Urlaub zu wählen, und dies sogar erst nach dem Sechzigsten, das bedarf einer Erklärung: Den Besuch unseres Sohnes in Braunschweig hatten wir seit längerem in petto. Der Grund, dies gerade jetzt zu tun, liegt darin, dass Michikos Patenkind uns zu ihrer Hochzeit eingeladen hat. Heute Samstag gibt Susannah ihrem Carsten das Jawort. Dass sich die Amerikanerin mit ihrem deutschen Freund vermählt, ist das eine. Dass Michiko ihr Patenkind seit der Taufe erst zum zweiten Mal sieht, wäre eine eigene Geschichte. Die kirchliche Trauung findet etwa zwanzig Fahrminuten ausserhalb Bremens statt. Also machen wir uns auf zur St. Andreas Kirche in Riede, wo wir neben den Brautleuten und einer grossen Schar von Gästen Susannahs amerikanischen Eltern treffen. Das weltliche Fest steigt im edlen Hotel Forsthaus auf Heiligenberg. Obwohl weit und breit kein Berg auszumachen ist, findet man Ortsbezeichnungen mit diesem Zusatz recht häufig in Deutschland. Tönt halt besser als Bodenwelle oder Hügel. Nach einem in allen Teilen exquisiten Büffet werden unsere Ohren dem Diktat des angeheuerten DJs ausgesetzt. Dieser beherrscht das Lokal akustisch bis weit in den Sonntag hinein, ja sogar bis in unser Schlafzimmer im ersten Obergeschoss.

Susannah und Carsten vor dem Traualtar

Susannah und Carsten vor dem Traualtar

Die Sonne steht schon recht hoch, als sich die Eltern der Braut mit den  Neuvermählten und uns im Garten zum Brunch treffen. Danach vertreten wir eine Stunde lang die Beine im Gehölz, das den Heiligenberg umgibt. Anschliessend fahren wir aufs Dorf, wo Susannah mit Carsten im Haus ihrer Schwiegereltern wohnt. Der Fahrweg dorthin beträgt je nach gewählter Route zwischen 17 und 20 Kilometer. Wir sind heil froh, in Bremen ein Satelliten-Navigationsgerät angeschafft zu haben!

Ziervogel in der Voliere

Ziervogel in der Voliere

Carsten und sein Vater zeigen uns ihre Voliere, welche die beiden zusammen mit grossem Engagement als Hobby unterhalten. In den Käfigen sind um die zweihundert Ziervögel, hauptsächlich aus Australien, untergebracht. Carstens Vater zeigt uns seine bunt gefiederten Lieblinge, erzählt über deren Alter, Stammbaum und Preise, die er mit einigen von ihnen gewonnen hat. Er braucht seine ausschlüpfenden Jungtiere nicht auf seiner Homepage anzupreisen, sein Name zählt in deutschen Landen, so dass sich Interessenten von selbst bei ihm melden. Seine Liebe zu Vögeln reicht soweit, dass er bis nach Costa Rica reiste, um bird watching, Vogelschau in freier  Wildbahn, zu betreiben. Carsten steht seinem Vater in dieser Hinsicht in nichts nach. Er füttert und beringt seine eigenen Jungvögel.

Die Weiterfahrt nach Braunschweig ist dank unserem Navi ein Kinderspiel. Benjamin zeigt uns seine Altwohnung, die er als Mitglied einer Dreier-Wohngemeinschaft nutzt. Sein Zimmer ist geräumig und wirkt mit 3.5 m Raumhöhe auch optisch grosszügig. Das Trio lebt ein vorbildliches Vertrauensverhältnis; keiner schliesst sein Zimmer bei Abwesenheiten ab. Als wir nach dem Nachtessen nach Hause kommen, offeriert der gleichzeitig eintreffende Nachbar vom obern Stockwerk Benjamin einen Korb Mirabellen-Pflaumen. „Nimm soviel du gebrauchen kannst!“. Etwas später kommt der brasilianische Student und Mitbewohner Pedro zurück und stellt sich mit ein paar freundlichen Worten vor.

Posieren vor dem Volkswagenwerk in Wolfsburg

Posieren vor dem Volkswagenwerk in Wolfsburg

Benjamin nimmt einen Tag frei und zeigt uns seine Wahlheimat. Noch am Sonntag chauffiert er uns an seinen Arbeitsort in Wolfsburg, der Volkswagenstadt. Er verdient sein Brot in der Forschungsabteilung für Kabelbäume einer japanischen Zulieferfirma von VW. In einem japanischen Restaurant beschliessen wir den Abend und versuchen, in Benjamins Zimmer etwas vom entgangenen Schlaf des Wochenendes wettzumachen.

Kunst am Bau oder Baukunst in Braunschweig

Kunst am Bau oder Baukunst in Braunschweig

In der alten Welfenstadt Braunschweig wechseln sich moderne Strassenzüge mit so genannten „Traditionsinseln“ ab, hübschen Bezirken mit alten Fachwerkhäusern und sehenswerten Kirchen an kopfsteingepflasterten Strassen und idyllischen Plätzen… (Baedeker)

Wie kommt mir Braunschweig vor? Ich versuche es anhand einer kleinen Begebenheit: Ich suche am Kiosk eine Ansichtskarte.

„Haben wir keine. Dort drüben ist ein Buchladen, dort werden Sie bestimmt fündig.“
Im Buchladen:
„Wo bitte finde ich Ansichtskarten?“
„Vor der Ladentür stehen drei, vier Ständer!“
Minuten später:
„Fräulein, unter Ansichtskarten verstehe ich Karten mit Fotos von Braunschweig, nicht solche mit irgendwelchen weisen Sprüchen drauf.“
„Ah so, die wären hier, sie sind mir leider gerade ausgegangen!“

Nicht, dass es keine Sehenswürdigkeiten gäbe. Vielleicht haben die Einheimischen kein Bedürfnis, die Geheimnisse ihrer Stadt der Welt preiszugeben. So gesehen verbringen wir mit Benjamin einen gemütlichen Tag. In einem Laden mit Braunschweiger Spezialitäten werden wir von einer vornehm-freundlichen Dame als Schweizer enttarnt. Zur Rede gestellt, meint sie, dass ich genau wie Emil rede. Sie versorgt uns mit Mumme Artikeln in Dosen und Flaschenform, dazu Bonbons und Guezli. Unsern nicht ernst gemeinten Spartipp an sie, dass wir in der Schweiz ähnliches Gebäck mit einem Loch in der Mitte anbieten, notiert sie sich interessiert als Willisauer Ringli.

Menora - Riesenleuchter im Dom Braunschweig

Menora - Riesenleuchter im Dom Braunschweig

Im Dom sehen wir uns etwas genauer um, da uns am Eingang eine unentgeltliche Führung ans Herz gelegt wird. Das Gotteshaus hat die Jahrhunderte überlebt und ist älter als die Eidgenossenschaft. Deshalb finden sich romanische und gotische Stilelemente. Mehrere bauliche Eingriffe führten zum heutigen Zustand: Vor der Reformation wurden mehr und mehr Seitenaltäre angefügt, was zur Verbreiterung der Nebenschiffe führte. Mit ‚gesponserten’ Seitenaltären versuchten gut Betuchte ihr Seelenheil sicherstellen. Diese verloren in der Reformation ihre Berechtigung und wurden entfernt. In der Apsis (im Chor) sind Wandmalereien an Decken und Wänden geblieben. Nicht so im Schiff, denn dieses wurde in der Nazizeit zweckentfremdet und mit entsprechenden Parolen und Malereien beschmiert. Die Menora, ein überdimensionierter Leuchter und früher Symbol für Juden wie Christen, beliess man hinter einem Vorhang, der die Apsis vom Schiff trennte. Heute sind die Nazispuren natürlich entfernt, wodurch die Säulen und Wände im Schiff in eintönigen Putzfarben gähnen. Das und mehr erzählt uns die Dame mit vielen Schlaufen in ihren Ausführungen.

Deftiges bei Mutter Habenicht - 2 Memüs genügen für 3 Personen

Deftiges bei Mutter Habenicht - 2 Memüs genügen für 3 Personen

Im weiteren Verlauf des Tages bummeln wir recht ziellos in den touristischen Quartieren der Stadt herum. In der urigen Speisekneipe Mutter Habenicht verbringen wir einen vergnügten Abend bei deftiger Hausmannskost: Für mich Pfifferlinge zu Steak und Bratkartoffeln. Zwei Portionen reichen für unser drei. Niemand nimmt Anstoss daran, dass wir die üppigen Portionen unter drei aufteilen.

Zurück in der WG, wechseln wir ein paar interessante Gedanken mit Benjamins Mitbewohnern. Pedro ist Student in Biologie, während der Chef des Dreierteams Geschichte unterrichtet. Er bestätigt und ergänzt die Ausführungen der Dame im Dom.

Auf nach Berlin.

Die Hauptstadt präsentiert sich als Metropole mit einer Museumslandschaft, die sich nur im europäischen Rahmen vergleichen lässt, einem Nachtleben, das in Deutschland ohne Konkurrenz ist und europäisches Niveau erklommen hat und einem Kulturangebot, das von den Berliner Philharmonikern bis zu den Filmfestspielen reicht. (Baedeker)

Unser Hotel - Ideale Anbindung an U-Bahn

Unser Hotel - Ideale Anbindung an U-Bahn

Unser Hotel Grosser Kurfürst – Berlin liegt im früheren Ostberlin. Zum Glück kennt unser Navi die Schleichwege dorthin, denn infolge der Leichtathletik-WM sind gewisse Strassenzüge abgesperrt. Jedenfalls ist die Routenwahl gänzlich verschieden von der mit Google Maps ausgedruckten. Stattdessen fahren wir dicht am Reichtagsgebäude vorbei, wo provisorische Tribünen entlang der Strasse erstellt worden sind, vermutlich für die Disziplinen der Geher und vor allem dem Marathon. Die Fahrbahnen sind bereits jetzt durch mobile Leichtmetallgitter von den Trottoiren abgetrennt und mit Werbung tapeziert.

Im Hotel überlässt man uns den Entscheid, den Wagen in der Wohnzone unentgeltlich zu parkieren oder diesen für € 17 pro Tag einzustellen.

Wir treten sogleich den Gang Richtung Jüdisches Museum Berlin an. Ein heikles Thema wird an einem heiklen Ort durch den exzentrischen (jüdischen) Architekten Daniel Libeskind publizitätsträchtig dargestellt. Gänge, die sich kreuzen oder ins Leere führen und nirgends horizontal verlaufen, lassen Interpretationen zu. Trotz aller betretenen Stille unter den zahlreichen Besuchern im  imposanten Bau: Als wir an eine Stelle kommen, wo ein paar Bildschirme unseren Kommentar zum Thema erbitten, möchte ich gerne ein wenig Gegensteuer geben mit einem Beitrag in der Richtung: Bei aller Betroffenheit angesichts des hier Gezeigten empfinde ich Ohnmacht ob der Politik der heutigen Regierung Israels, die viel Goodwill der früheren Opfer des Rassismus untergräbt. Die Terminals funktionieren leider nicht.

Sony-Center mit futuristischer Bedachung

Sony-Center mit futuristischer Bedachung

Weiterhin zu Fuss erreichen wir den Potsdamer Platz und das Sony Center mit dem riesigen Baldachin. Ganz der Aktualität verpflichtet, hat man Laufbahnen erstellt, wo sich Kinder und Jugendliche im Schnelllauf oder Weitsprung messen können. Jedem Teilnehmer wird die Leistung auf einer bierdeckelgrossen Goldmedaille überreicht.

Holocaust Mahnmal - 2711 dunkle Stelen unterschiedlicher Grösse

Holocaust Mahnmal - 2711 dunkle Stelen unterschiedlicher Grösse

Ein paar weitere Gehminuten später erblicken wir das Holocaust Mahnmal mit seinen 2711 dunkeln Betonstelen unterschiedlicher Grösse. Beim Durchschreiten zweier Säulen schottet man sich immer wieder für ein Momentchen von der Umwelt ab und kann im nächsten Augenblick im Quergang auf einen andern Menschen auflaufen. Der eine findet die zufällige Begegnung amüsant, der andere sich in seinen Gedanken gestört. Wie im Jüdischen Museum wird hier nichts interpretiert, wie auch der Holocaust keinen Sinn machte.

Das Brandenburger Tor - Viel Symbolik und Strahlkraft

Das Brandenburger Tor - Viel Symbolik und Strahlkraft

Und dann das Brandenburger Tor. Ehemals auf Ostberliner Boden liegendes Wahrzeichen Berlins und 1990 Symbol der Wiedervereinigung. Benjamin war stolz auf die Feststellung, dass die Quadriga, das Viergespann, auf dem Residenzschloss in Braunschweig grösser sei als das viel berühmtere auf dem Brandenburger Tor.

Unweit davon entfernt, nähern wir uns dem Reichtagsgebäude, vor welchem sich eine lange Menschenschlange von Besuchern gebildet hat. Statt ebenfalls anzustehen, entdecken wir ein Ausflugsschiff auf der Spree, wo wir uns eine Stunde von der ermüdenden Stadtbegehung erholen. Die kommentierte Flussfahrt ist wirklich empfehlenswert, denn es gibt laufend interessante Gebäude zu entdecken. So finden wir uns anschliessend im brandneuen Hauptbahnhof, ein Licht durchflutetes Gebäude aus Stahl und Glas.

Berlin Hauptbahnhof - Licht durchflutete Stahl- und Glaskonstruktion

Berlin Hauptbahnhof - Licht durchflutete Stahl- und Glaskonstruktion

Kurz vor Sonnenuntergang scheint das Interesse am Besuch des Reichstagsgebäudes nicht nachgelassen zu haben. Spontan stellen wir uns ebenfalls an und schaffen den Zutritt in einer Stunde. Und das Warten hat sich gelohnt. Nach dem Sicherheitscheck führt ein Aufzug auf die Plattform, wo die gläserne Kuppel auf der Innenseite spiralförmig bestiegen werden kann. Mit einem Blick in den Plenarsaal und dem andern auf die Stadt. Die Dimension des Meisterwerks des britischen Stararchitekten Norman Foster lässt sich erst beim Begehen der Kuppel erahnen. Nach Innen und Unten schraubt sich ein Gebilde aus Hunderten Spiegeln, das aussieht wie ein erstarrter Hurrikan, dabei kommt ihm die Rolle zu, Tageslicht in den Plenarsaal im Erdgeschoss umzulenken. Unentgeltlich angebotene Audiogeräte vermitteln Infos in verschiedenen Sprachen.

Blick von der Glaskuppel des Reichtagsgebäudes in den Plenarsaal des deutschen Parlaments

Blick von der Glaskuppel des Reichtagsgebäudes in den Plenarsaal des deutschen Parlaments

Über die 60 m breite DDR Prachtstrasse Unter den Linden suchen wir in der Nacht unser Hotel auf, bereichert mit weit mehr Eindrücken, als wir für den ersten Tag gerechnet hatten. Berlin, das sind auch grosszügig dimensionierte Plätze vor allem im ehemaligen Ostteil. Der Fall der Berliner Mauer jährt sich in diesen Tagen zum 20. Mal. Jugendliche bis 25 müssen sich die Vorstellung der geteilten Stadt im Geschichtsunterricht erarbeiten. So schnell vergeht die Zeit, gerade auch in Berlin.

Mit einer ganztägigen geführten Stadtwanderung durch das wiedervereinte Berlin testen wir unsere Standfestigkeit auch am Folgetag. Und das bei 29° Celsius. Ähnliche Führungen auf Englisch in München oder Madrid sind unentgeltlich und der Guide lebt allein vom Trinkgeld. Hier sind € 9 fällig, dafür lässt die Qualität zu wünschen übrig. Bei zwanzig Teilnehmenden fällt es im höllischen Strassen- und Baulärm der Hauptstadt schwer, den Ausführungen des Londoners zu folgen. Irgendwann klinkt man sich aus, Führerbunker hin, Checkpoint Charlie her.

Mit einem Highlight beschliessen wir den Tag. Wir dinieren auf der Aussichtsplattform des Fernsehturms, mehr als 200 Meter über Boden.

Geschnetzeltes vom Schweinsfilet mit sautierten Pfifferlingen und Butterspätzle für € 14.50. Schmeckt ganz ansprechend,  jedenfalls, wenn man den abwertenden Kommentar unseres Guide noch in den Ohren hat. Den Fernsehturm tief im früheren Ostberlin zu besteigen ist im Übrigen mit Geduld zu verdienen. Man kauft sein Ticket und wägt anhand von Angaben auf einem Bildschirm ab, wie viel Zeit z.B. für einen Spaziergang auf dem Alexanderplatz bleibt.

Fernsehturm mit Restaurant auf über 200 Meter über Boden

Fernsehturm mit Restaurant auf über 200 Meter über Boden

Olympiastadion Berlin. 12. IAAF World Championships berlin 2009.

Nachdem wir uns an den Vortagen zur Genüge müde gewandert haben, sitzen wir jetzt im monumentalen, für die XI. Olympischen Spiele 1936 erbauten Stadion, das 76000 Zuschauer fasst. Der Bau ist 12 Meter abgesenkt, erscheint daher von Aussen bescheidener als er wirklich ist. Wir konnten vom Hotel aus die U-Bahn zum Stadion in kaum hundert Schritten erreichen. Wir taten dies recht früh, etwa um acht Uhr, trotzdem gab es keinerlei Gedränge im Zug. Wir vermuten die Liebhaber von Stosszeiten um diese Zeit bereits am Arbeitsort.

Das Olympiastadion Berlin fasst 76000 Zuschauer

Das Olympiastadion Berlin fasst 76000 Zuschauer

Inzwischen haben wir einige Weltmeister beklatscht, in erster Linie einen Usain Bolt, dessen Arbeitszeit über 200 m in 19 Sekunden und 19 Hundertsteln beendet war. Weltrekord! Als einziger Schweizer erreicht Simon Walter in seiner Zehnkampfdisziplin Stabhochsprung eine beachtliche persönliche Bestleistung von 5 Metern. Der Besuch des Olympiastadions wäre auch ohne WM ein lohnendes Ziel. Der Monumentalbau hat seine geistigen Väter im Dritten Reich immerhin um viele Dekaden überlebt. Zu wissen, dass Hitler sich darin 1936 einige Wettkämpfe angeschaut hat, ist ein beklemmendes Gefühl. Besonders, nachdem man am Vortag auf dem Acker gestanden ist, wo der Führer in seinem Bunker verendet ist.

Dresden. Die weltweite Berühmtheit „Elbflorenz“, so der Beiname Dresdens, gründet sich auf die reichen Kunstsammlungen und die eindrucksvollen Baudenkmäler. Dresden ist auch international anerkannte Wissenschaftsstadt, bedeutende Industriestadt, Kulturstadt ersten Ranges und – dank des Elbtals – (noch?) Weltkulturerbe. (Baedeker)

Dresden - Hofkirche, Standbild, Residenzschloss

Dresden - Hofkirche, Standbild, Residenzschloss

Als wir die Elbe im Wagen überqueren, gewahren wir eine Silhouette wie eine Liebe auf den ersten Blick. Unser Ibis-Hotel liegt an der Prager Strasse. Und entsprechend haben wir unser Navi programmiert. Die Prager Strasse ist aber Fussgängerzone. Wie reagiert das Navi in so einem Falle? Es leitet uns in ein Untergrund-Parking. Inzwischen steht unser Astra für 48 Stunden auf einem öffentlichen Parkfeld, gleich hinter einem von drei Blöcken der Ibis Hotel-Kette.

Frauenkirche - Orgel über Altar, verschiedene Emporen

Frauenkirche - Orgel über Altar, verschiedene Emporen

 

Dresden rühmt sich seiner wunderschönen Altstadt. Touristisch unterscheidet man zwischen einer Altstadt und einer Neustadt. Von der rechtsufrigen Neustadt ragt die Dreikönigskirche heraus, deren Turm man besteigen kann. Über die Elbe sind prächtige Bilder der Altstadt-Konturen möglich. Wir beschränken uns hauptsächlich auf die vielen Winkel und historischen Gebäude der linkseitigen Altstadt. Da alles schön beisammen liegt, spricht man schnell von vertrauten Begriffen wie Zwinger, Schloss, Semperoper, Frauenkirche.

Dresden - Teilansicht Zwinger

Dresden - Teilansicht Zwinger

Letztere wurde erst nach der Wende (nach 1989) wieder aufgebaut. Sie gilt als Deutschlands bedeutendster protestantischer Kirchenbau, der allerdings kaum Modelcharakter für weitere Bauten anderswo angenommen hat. Was im Innern sogleich auffällt, sind der quadratische Grundriss von 45×45 Meter und die vierstöckigen Emporen wie in einem Theatersaal. Die Orgel thront über dem Altar. Die schlanke Kuppel ist doppelschalig, so dass der Besucher darin spiralförmig nach oben gelangen kann, wo sich ihm der unvergleichliche Rundblick über die Altstadt bietet. Die Frauenkirche wurde von der DDR als Mahnmal belassen, nachdem sie zuerst die Bomben der Alliierten überlebt, dann aber ausgeglüht in sich zusammengestürzt war. Nach der Wende hat man ein paar Tausend Sandsteinquader aus dem Trümmerhaufen für den Wiederaufbau verwendet, man erkennt sie an der russigen Farbe. Die russig-düsteren Fassaden mancher Gebäude sind das, was man am ehesten wegdenken möchte im historischen Viertel. Eine Architektin erklärt, dass die Luftverschmutzung höchstens am Rand dafür verantwortlich ist. Der verwendete Sandstein aus der Sächsischen Schweiz enthält Mangan und andere Mineralien und diese oxydieren beim wiederholten Kontakt mit Regen. Vermeiden lässt sich diese Patina nicht, sie dient sogar als Schutz vor weiterer Zerstörung durch den Zahn der Zeit.

Dresden - Semperoper

Dresden - Semperoper

Am zweiten Tag lösen wir Karten für eine Stadtrundfahrt mit Bussen, welche an 22 ausgewählten Stellen halten. Da man beliebig aus- und zusteigen kann, nutzen wir den vollen Tag. Unterwegs besuchen wir die Gläserne Manufaktur,  wo man von aussen mitverfolgen kann, wie VW seine Luxus-Limousine Phaeton fabriziert. Der Botanische Garten daneben ersetzt eine fiktive Weltreise in alle Kontinente.

Dresden - Botanischer Garten

Dresden - Botanischer Garten

Weiterhin werden wir Zeugen eines entthronten UNESCO-Welterbes. In der Tat tragen Dresden und das Elbtal mit seinen lieblichen Auen am Eingang der Stadt seit ein paar Wochen diese Auszeichnung nicht mehr, nachdem mit dem umstrittenen Bau einer Brücke über Elbe und Elbtal begonnen worden ist. Unser Fahrer bedauert den Bannstrahl des Nominierungs-Komitees. Seiner Ansicht nach hätte man bis zur Fertigstellung der Brücke zuwarten und dann entscheiden sollen, ob der Eingriff tatsächlich so einschneidend ist. Das Prädikat: Natur, Architektur, Stadt und Land vereinigende Kulturlandschaft galt also bloss fünf Jahre.

Elbtal vor Dresden - Diese Brücke über das Elbtal kostete das UNESCO-Label

Elbtal vor Dresden - Diese Brücke über das Elbtal kostete das UNESCO-Label

Die Stadtrundfahrt schliesst mit einer Führung zu Fuss vom Zwinger bis zur Frauenkirche. Der Guide, ein gebürtiger Syrer, fällt durch seine deutsche Sprachkompetenz, vor allem aber durch sein profundes Sachwissen auf. Wir haben uns Informationen über die wichtigsten Gebäude von bis drei Personen geben lassen, er war von allen der sachverständigste und witzigste dazu.

An der Abendkasse der Semperoper stellen wir uns für last minute Karten für das Ballett Giselle an. Und wir hätten tatsächlich die Möglichkeit, Minuten vor Beginn der Vorstellung dabei zu sein, aber zweitens genieren uns unsere Touristenklamotten und erstens der Preis von € 65 pro Person. Auf den billigsten Rängen hätten uns T-Shirt und kurze Hose weniger gestört. Schön, wenn man für einmal Wartende im Rücken glücklich machen kann, denn es gab noch genau zwei Karten von Rückgaben.

Pseudohistorische Hotel-Fassaden auf dem Dresdner Altmarkt

Pseudohistorische Hotel-Fassaden auf dem Dresdner Altmarkt

So verabschieden wir uns von einer Touristenstadt ersten Ranges, in der weitere Hotels mit pseudohistorischen Fassaden vor den Toren der Altstadt aufgestellt werden, die man klar als solche erkennt und nolens volens bereit ist zu akzeptieren. Wenn man Bilder des Trümmerfeldes nach den Bombardierungen im Zweiten Weltkrieg zum Vergleich heranzieht, so gibt es praktisch nichts Altes zu bewundern in Dresden. Was für manche andere deutsche Stadt ebenso zutrifft.

Recht früh rollen wir aus der Stadt, denn wir möchten um zehn Uhr im Dom zu Regensburg den Sonntagsgottesdienst mit den berühmten Domspatzen besuchen. Aber als Erstes führt eine Fehlmanipulation am Navi dazu, dass dieses uns wieder an den Ausgangspunkt in Dresden zurückführt. Muss man erst mal merken. So ist es bereits nach sieben Uhr, als wir im Fünften hochtourig losbrausen. Es gilt satte 350 km bei geringem Verkehrsaufkommen zu bewältigen. Die Landschaft, die an uns vorbeiflitzt, könnte auch in der Schweiz vorkommen: Strohballen auf abgeernteten Getreidefeldern oder Gemischtwälder, nur wäre die Fahrt in der Heimat meist über der erlaubten Höchstgeschwindigkeit. Bei dieser Gelegenheit sei den deutschen Automobilisten ein Kränzchen gewidmet. Sie halten sich diszipliniert an die Verkehrsregeln und fallen auch nicht als akustische oder optische Hupenvögte auf.

Regensburg an der Donau - Hintergrund Dom

Regensburg an der Donau - Hintergrund Dom

Wir lassen unsern Wagen vor dem Hotel stehen und eilen zum Dom, wo wir fast gefüllte Bänke vorfinden, aber noch nichts verpasst haben. Leider ist der Knabenchor, welcher hier eine über tausendjährige Tradition pflegt, ins Stimmbruchalter gekommen, denn er wird am heutigen Tag durch die Schola von bestandenen Männern ersetzt. Dafür hört man wieder einmal das Credo singen.

Kirchen, Geschlechtertürme und Patrizierhäuser aus dem 13. und 14. Jh., wie man sie in dieser Form sonst nirgends nördlich der Alpen findet, prägen das Bild der einstigen Freien Reichsstadt Regensburg. Die quirlige Donaumetropole hat ein reges Kulturleben und leicht südländisches Flair. (Baedeker)

Den Nachmittag verschlendern wir in der UNESCO gekrönten Altstadt. Hier scheint die Welt noch in Ordnung zu sein. Es hat Kirchen im Dutzend, der Dom ragt in den Dimensionen heraus. Aber jedermann kann hier sein Gotteshaus in Baustil und Grösse wählen. Wir haben einige besucht, denn in Regensburg flaniert es sich leicht ohne Ziel in den Gassen herum. Viele Quartiere sind verkehrsfrei, oder in ihren Verästelungen zu eng für den motorisierten Verkehr. Trotzdem staunt man, wie sich darin neben einheimischen Kneipen japanische, vietnamesische und mongolische Restaurants eingenistet haben. Wir sind aus auf echt Bayrisches, es ist dies unser letzter Tag in Deutschland.

Regensburg bei Nacht - mit Steinerner Brücke und Dom

Regensburg bei Nacht - mit Steinerner Brücke und Dom

Und/oder der erste in Bayern. Die Unterschiede zwischen den protestantischen Sachsen und den katholischen Bayern sind vielleicht vergleichbar mit jenen zwischen  Franzosen und Deutschen in der EU.

Regensburg mit Donau - Morgensicht vom Fenster des Sorat-Insel Hotels

Regensburg mit Donau - Morgensicht vom Fenster des Sorat-Insel Hotels

Als August der Starke, Kurfürst von Sachsen, im ausgehenden 17. Jahrhundert König von Polen werden wollte, konvertierte er opportunistisch zum Katholizismus. Dazu liess er im sächsischen  Dresden eine katholische Hofkirche bauen, welche die grösste Kirche Sachsens wurde. Das musste möglichst lange vor der Bevölkerung geheim gehalten werden. Er beauftragte einen italienischen Architekten, der gleich auch die Bauleute mitbrachte, die natürlich des Sächsischen nicht mächtig waren. Man bedenke eine vergleichbare Situation im heutigen Bayern, wenn der Ministerpräsident mit Steuergeldern eine Moschee mit Minarett aufstellen würde…

Dass Regensburg von der Donau durchflossen wird, weiss ich, seit ich eine Dame nach dem Weg „zum Fluss“ erfragte und prompt aufgeklärt wurde, dass es sich dabei um die Donau handle. Um die Schöne blaue Donau, wie sich vom Fenster unseres Zimmers im Sorat Insel-Hotel zeigt, als sie am Abreisetag trotz beachtlicher Fliessgeschwindigkeit die Konturen der Stadt und der Steinernen Brücke in märchenhafter Weise spiegelt, zusammen mit dem konkurrenzlos blauen Himmel.

Die Donau schweigt an unserem Hotelfenster vorüber, kopiert frühmorgens Hausfassaden und Dächer gegenüber, vergisst weder Dom noch Steinerne Brücke

Die Donau schweigt an unserem Hotelfenster vorüber, kopiert frühmorgens Hausfassaden und Dächer gegenüber, vergisst weder Dom noch Steinerne Brücke

Copyright ©  2009 by Josef Bucheli