Via Engiadina
5 08 2013Engadiner Höhenweg
20.7.2013 Erster Tag: Vinadi – Tschlin
Man nehme frühmorgens den Zug von Irgendwo in der Schweiz nach Scuol im Unterengadin und besteige dort den richtigen Postbus mit Halt in Vinadi. Ein gelber Wanderwegweiser an der Abzweigung nach Samnaun, in gemeiner Weise von herabhängenden Ästen getarnt, identifiziert den unbewohnten Ort an der österreichischen Grenze, 1086 m ü. Meer, den niedrigsten Punkt des ganzen Weges. Vinadi gehört zur Bündner Grenzgemeinde Martina. Das Restaurant „Weinberg“ an der anderen Strassenseite ist halbverwaist. Drei Mountainbiker erholen sich im Schatten der Gartenwirtschaft, die Bedienung hält Mittagsschlaf, der Wachthund hinter der Theke belässt es bei einem müden Aufblicke. Der Wegweiser bedeutet unmissverständlich: Hier beginnt die Via Engiadina, der Engadiner Höhenweg. Tschlin ist in dreieinhalb Stunden erreichbar.
Das gemütliche Einlaufen beginnt nach ein paar Minuten auf der Strasse Richtung Samnaun. Bald folgt ein nahrhafter Anstieg. Die 750 Höhenmeter machen ernst. Meist schirmt Gehölz die sengende Sonne ab. Der Pfad wird allmählich zum Höhenweg und gewährt ab und zu Aussicht auf das Tal des En (Inn) und die Bergkette auf der andern Talseite. Die Alpenflora auf Magerwiesen scheint ausschliesslich den Grillen und Schmetterlingen zu gehören. Niemand sonst zeigt sich auf der ersten Teilstrecke, welche rauschende Gebirgsbäche quert. Besonders ausgesetzte Passagen sind von Ketten als Handhabe begleitet. Zwei umgestürzte Tannen erschweren den Durchgang an anderer Stelle. Nach rund zwei Stunden aufwärts wandern halten sich Steigungen und Gefälle die Waage. Ein Wegweiser unterwegs will uns weismachen, dass man von dort, wo er steht, in anderthalb Stunden sowohl zurück nach Vinadi wandern könnte, als auch vorwärts nach Tschlin. Dabei wird die Strecke im Internet für fünf Stunden ‚verkauft’. Gegen 16.00 Uhr marschieren wir hinab in die mit Kopfsteinpflaster gefestigte Hauptstrasse des Dörfchens Tschlin am Sonnenhang, vorbei an schmucken Steinhäusern mit typischen Engadinerfenstern, oft um einen zentralen Brunnen herum, direkt auf das Hotel Macun zu, das einzige im Ort.
Dort stille ich als erstes meinen Durst mit einem Tschliner Bier. Das Hotel Macun rühmt seine Küche durch Verarbeitung einheimischer Spezialitäten. In wiefern dies heute zutrifft, bleibe dahingestellt. Wildschwein mit Spätzle sowie gedämpftem Fenchel, angereichert mit Schmelzkäse munden allemal. Der gemischte Salat mit Ziegenkäse oder Mozzarella nach Wahl, an Balsamico Sauce, passt vorzüglich. Unbestritten bleibt das Tschliner Bier, das im Dorf hergestellt wird.
Zweiter Tag: Tschlin – Sent
Auf den Tag vor einem Jahr befanden sich Michiko und ich auf einer Stadtwanderung im kalifornischen San Francisco. Man würde nicht vermuten, durch welche Haine und Wälder man dort streift, wenn man die Stadt zu Fuss von seinen Hügeln aus bewundern will. Die Leaderin der spontanen Wandergruppe hielt oftmals inne und rief „Beauty!“, wenn sie auf einen besonders lohnenden Blick auf Stadt und Bay aufmerksam machen wollte. Heute, auf der Via Engiadina, hätte sie sich heiser krächzen können. Der Weg gefällt sich, im Gegensatz zu gestern, in sanften Steigungen durch blühende Wiesen und Schatten spendende Föhrenwälder. Unterwegs streifen wir das Dörfchen Vna am Eingang zum Val Sinestra. Der tiefe Einschnitt in die Bergflanke verlängert den Weg beträchtlich, da er die Brücke weit im Seitental sucht.
Erst noch betrachteten wir die mächtigen Wolkentürme als willkommene Schattenspender in der Nachmittagshitze, da fängt es unmittelbar vor unserem Tagesziel an zu regnen. Der kurze Sprutz treibt uns direkt in unser B&B. Das Nass von oben wechselt in der Folge mehrmals ab mit Sonnenschein. Sent ist wesentlich grösser als Tschlin, erst ein zweiter Blick öffnet unsere Sinne für verwinkelte Gässchen, malerische Engadinerhäuser. In einem originellen Restorant geniesst Michiko den Sommerhit, Siedefleischsalat mit Rösti, als Geburtstagsteller.
Dritter Tag: Sent – Scuol
Die knapp achthundert Steigungsmeter heute nehmen wir um acht Uhr in Angriff. Erst mit der Zeit erreichen wir lichte Föhrenhaine und Vieh auf Sömmerung. Die Mühe des Aufstiegs wird mehr als belohnt durch die Alpenflora am Wegrand. Da zahlt es sich auch für den Wanderer mit einem Auge für Naturbelassene Wiesen aus, dass die Bauern mehr Direktzahlungen erhalten, wenn sie die Gräser und Blumen vor dem ersten Schnitt ausreifen lassen. Bergbauern als Landschaftsgärtner.
Bereits am Mittag treffen wir auf Motta Naluns ein und trocknen unsere verschwitzten Kleider an der Höhensonne des Bergrestaurants auf über 2000 m ü. Meer. Bei einem Käse-Wurstsalat an einer Balsamico Sauce. Idealere Temperaturen könnte man sich nicht wünschen. Den Abstieg nach dem Thermalbadeort Scuol kürzen wir in der Gondelbahn ab. Wir wollen keine Zeit verlieren, die Bäderlandschaft auszukosten. Im „Quellenhof“, gleich neben dem Bogn Engiadina, haben wir eine erschwingliche Übernachtung gefunden.
In das Engadiner Bad wurde seit unserem letzten Besuch mächtig investiert, namentlich in den Saunabereich, der ohne Aufpreis betreten werden kann. Ein paar Liegen im Solarium stehen ebenfalls jedermann zur freien Verfügung.
Vierter Tag: Scuol – Guarda
Der Quellenhof in Scuol ist ein in die Jahre gekommenes Hotel, das dringend einen Investor bräuchte. Oder lieber nicht, denn nur im jetzigen Zustand liegen preisgünstige Zimmer am idealen Standort zum Bogn Engiadina drin. Zum Frühstück gesellen sich dreissig Niederländer auf der Durchreise mit Mountainbikes. Ihr Tagesziel ist Santa Maria im Münstertal, das Endziel Rom.
Für unsere Weiterreise werden wir der Via Engiadina für einen Tag untreu. Wir erkennen keinen Gewinn darin, für die Fortsetzung erneut nach Motta Naluns hochzufahren, nur um anschliessend über 800 Höhenmeter abwärts Ardez zu erreichen, wie es eine Wegbeschreibung im Internet suggeriert. Unser Plan sieht vor, auf tiefer liegenden Wanderwegen über Ftan nach Ardez zu gelangen und dann gleich nach dem schmucken Guarda weiterzuwandern, ein Bijou von einem Engadinerdörfchen, das leider nicht an der Via Engiadina liegt. Diese Variante zahlt sich aus. Die als Via Alpina und ebenfalls als Via son Giachen, Bünder Jakobsweg, ausgeschilderte Strecke führt auf ungeteerter Strasse am Hang entlang durch sanfte Wiesen. Wo diese noch ungemäht sind, bilden sie einen Blumenteppich mit überreifen Gräsern und Alpenkräutern. Bald taucht das Dorf Ftan auf. Auch dieses hat die Engadiner Baussubstanz weitgehend bewahrt. Dazu gehören die Fenster, die Schiessscharten ähneln, die Beschriftung oder Bemalung der Hausfassaden sowie die zahlreichen Brunnen inmitten der Durchgangsstrasse mit Kopfsteinpflasterbelag.
Wir ziehen weiter Richtung Ardez. Da die Nachmittagssonne sengt, sind wir froh um gelegentliche Schatten von mächtigen Föhren oder Lärchen. Der Weg verengt sich zum Pfad. Wir nennen ihn Distelweg, denn mannshohe Disteln lassen die entgegen kommenden Familien nur in Einerkolonne passieren. In unserer Richtung bleiben wir Einzelkämpfer. Zwar haben zwei Deutsche aus dem Bodenseeraum ihr verlängertes Wochenende auf der Via Engiadina verbracht, aber sie trafen auf abweichender Route in Tschlin und Sent ein und mussten in Scuol wieder abreisen.
Unweit vor Ardez vereinigt sich unser Weg mit dem Engadiner Höhenweg, der unbegreiflicherweise die Perle des Unterengadins, Guarda, umgeht. Also verlassen wir ihn wieder und steigen auf einem Feldweg in das 190-Seelendorf (2005) hinauf. Guarda ist fast so etwas wie die Engadiner Antwort auf ein Potemkinsches Dorf. Betritt man ein Haus von der Dorfstrasse her, so stehen die Chancen gut, dass der Hinterausgang ins Grüne führt.
Die Häuser, welche die abschüssige Dorfstrasse säumen, behalten trotz aller Individualität den unverwechselbaren Engadiner Baustil wie kaum ein zweites Bündnerdorf. Guarda wird von vielen Japanern besucht und dies wegen der Geschichte des Schellen-Ursli, die hier spielt und die in Japan ebenso bekannt ist, wie jene des Heidi.
Die Geschichte des Schellen-Ursli
Am Tag vor dem Chalandamarz-Umzug erhält Schellen-Ursli die kleinste Schelle. Mit dieser muss er am Umzug ganz hinten bei den jüngsten Buben mitlaufen. Er möchte jedoch lieber ganz vorne bei den grossen Jungen gehen. Da kommt ihm in den Sinn, dass im Maiensäss der Familie eine grosse Glocke hängt. Furchtlos macht er sich auf die beschwerliche Reise durch den Schnee und erreicht die Hütte, als es bereits dämmert. Schellen-Ursli findet die Glocke und schläft erschöpft ein. Im Dorf wird er unterdessen von allen gesucht. Am nächsten Morgen erwacht Schellen-Ursli von den ersten Sonnenstrahlen und macht sich schnell auf den Weg zurück ins Dorf. Seine Eltern empfangen ihn mit grosser Erleichterung. Er darf nun mit der grössten Glocke den Chalandamarz-Umzug anführen und alle jubeln ihm zu. (aus Broschüre)
Wir hatten etwas Bange, weil wir uns nicht im Voraus um eine Unterkunft gekümmert hatten. Von Ftan aus rief ich das Restaurant Crusch Alba (Weisses Kreuz) an, wo mir aber beschieden wurde, dass sie ein Restaurant ohne Zimmer wären. Nach einer Unterkunft nachgehakt, erklärte mir die freundliche Stimme, dass sie eine Marina Franziscus kenne, welche Zimmer vermiete. Bei besagtem Restaurant eingetroffen, schickt uns die sympathische junge Serviertochter zum nächsten Hauseingang, der einer Stalltür gleicht. Die Empfehlung des Crusch Alba bewirkt bei der mehr als achtzigjährigen Marina ein Umdenken, denn sie hätte eigentlich lieber Gäste, die mehrere Tage bleiben. Unser Zimmer im umgebauten Bauernhaus erreichen wir durch das mutmassliche Tenn, wo Mann mit Vorteil auf die massiven Tragbalken an der Diele achtet. Mit 50 Franken pro Person, inkl. Frühstück, nächtigen wir in der preisgünstigsten Unterkunft seit Reiseantritt.
Was das Wetter betrifft, so erleben wir jeden Morgen stahlblauen Himmel, gegen Mittag zeigen sich weisse Wolkenbilder am Horizont, welche sich gegen Abend zu drohenden Gewitterwolken aufplustern. Kurze, zum Teil heftige Regengüsse sind die Folge. In Guarda ist das nicht anders. Wir brechen deshalb die zweistündige Zusatzschlaufe des Schellen-Ursli-Weges oberhalb des Dorfes ab, hätten aber ebenso gut unter einer mächtigen Lärche oder Föhre auf die anschliessende Abendsonne warten können.
Fünfter Tag: Guarda – Zernez
Wir sind in Zernez , das Unterengadin liegt hinter uns. Ganz ohne Emotionen verlief diese Überführungsetappe nicht. Wir hatten vor, baldmöglichst auf die Via Engiadina zurückzukehren. Das hiess, von Guarda aus eine Zeitlang auf ungeteerter Strasse bergwärts zu gehen, vorbei an verschiedenen Stationen des Schellen-Ursli-Weges. Da wies plötzlich ein Wegweiser nach Lavin, ein Ort an unserer heutigen Etappe. Wir benutzten den schmalen Pfad vorbei an Nadelbäumen, welche die Morgenhitze im Zaun hielten. Der Pfad führte in ein Tobel, wo er den Wildbach auf einer Holzbrücke querte. Wir folgten ihm, vorbei an wuchernden Pflanzen, welche das Durchkommen zusehends erschwerten. Ein Prachtexemplar von einem Hirsch ergriff die Flucht in unwegsames Gestrüpp. Unser Weg glich mehr und mehr einer Fährte, die in den Schräghang führte. Bis jedes weitere Vortasten Hasardieren bedeutete. Aber auch zum Rückzug blasen hätte geheissen, den feuchten Steilhang auf allen Vieren hoch zu robben. Wir waren uns sicher, unverschuldet in diese kritische Situation geraten zu sein. Jeder Schritt Hang abwärts konnte unter dem Gras nassen Fels, morsches Fallholz oder unsichtbare Sumpflöcher tarnen. Nach mehreren gewagten Schritten Hang abwärts, grüsste von der andern Seite des Wildbaches ein Kiessträsschen. Vielleicht hätten wir die Brücke nicht beachten und auf der linken Hangseite bleiben sollen? Mit dem Mut der Verzweiflung tasteten wir uns weiter den Hang runter auf eine Schneise zu, die einem Weidezaun mitten im Walde folgte. Am Waldrand angelangt, durften wir den elektrischen Zaun mit einem Federzug öffnen und hinter uns wieder schliessen, was hiess, dass wir uns tatsächlich auf einem Wanderweg befunden hatten…
Lavin grüsste nun nicht mehr von ferne, bald vereinigte sich unser Feldweg mit der von weit oben kommenden Via Engiadina. In Lavin überquerten wir den En und folgten ihm flussaufwärts bis Susch und schliesslich Zernez. Die letzten drei Wanderstunden waren kein Höhenweg mehr, was der romanische Name Via Engiadina ja auch nicht vorgibt zu sein. Seit der Mittagszeit drohte jederzeit Regen aus aufgezogenen dunklen Wolken. Je mehr wir uns unserem Tagesziel näherten, desto zahmer wurde die Drohung, so dass wir unterwegs einen weiteren niederschlagfreien Tag erlebten.
Spätabends besuchen wir in Zernez die Freilichtaufführung des Schweizer Films „More Than Honey“ bei welcher Gelegenheit ich erstmals froh bin um meine Windjacke.
Sechster Tag: Oberengadin Zernez – Zuoz
Vielleicht das längste Teilstück, wenn auch nicht das Denkwürdigste. Sieben Stunden nach Verlassen von Zernez steigen wir von der Acla Laret, auf über 2000 Metern, nach Zuoz hinab, das vom türkisfarbenen Band des jungen En auf dem Talboden gegen unsere Bergflanke abgedrängt wird. Der Höhenweg bedient sich Strassen, Wald- und Flurwegen. Nicht immer begreifen wir die ausgeschilderten Pfade. Der prachtvolle Ausblick auf das Oberengadin muss durch eine ellenlange und langweilige ansteigende Waldstrasse verdient werden.
Auf dem stilvollen Dorfplatz von Zuoz erkundigen wir uns über ein Schild „Zimmer frei“ vor einem Hotel. Die Empfangsdame pokert mit einer Zahl um 220 Schweizerfranken für eine Nacht und ruft uns dann noch etwas von Zimmern mit Etagenbad hinterher, als wir bereits wieder den Ausgang anpeilen. Zwei, drei Strassen weiter unten bietet uns eine Frau ihre Dachkammer für je dreissig Franken an.
Siebter Tag: Zuoz – Samedan
Wir sind im Oberengadin angekommen, auch emotional. Der Höhenweg von Zuoz nach Samedan gehört zu den eindrücklichsten bis jetzt. Nicht umsonst gibt es einen Streckenabschnitt, der Via Segantini heisst. Die Bergflanke gegenüber und das beinahe durchsichtige Hellblau des Himmels, hier könnte der Maler sein Meisterwerk abgeschaut haben. Oft kräuselt uns eine frische Brise entgegen. Lichte Lärchenwälder bieten etwas Schatten, wo sich das Auge gleichzeitig erholen kann, denn so vertraut der Blick in das Tal des jungen En auch ist, man staunt unterwegs stets von einem anderen Winkel darauf, einmal mit Madulain im Vordergrund, dann mit La Punt-Chamues-ch, Bever und schliesslich mit Samedan. Wir sind um sieben Uhr früh gestartet und wie seit Tagen allein auf dem Weg. Gegen zehn Uhr, auf einem abschüssigen Waldweg, kommt uns ein von Kopf bis Fuss gestylter junger Mann entgegen, der schon aus fünfzig Metern „Hello“ ruft. Wir mustern den seltsamen Wanderer, der ein gepflegtes Englisch spricht:
Where are you going to?
I don’t know. My house is about 20 minutes from here.
Are you living here with your family?
No, with my boyfriend. I’m from Thailand.
How long are you gonna stay here?
A couple of months. We are going to München from here, we have a house there, too.
Are you travelling by train?
No, by air. After München we come back, then go to Paris. We have a house there, too.
Can you fly to Paris from here?
Don’t know yet whether from Samedan or Zurich airport. Later we want to go to Italy, but my friend says it’s dangerous to go there by car.
What car do you have?
A Bentley.
Oh, then better let it in the garage here!
Mit einem Handshake verabschiedet sich der junge Dandy, der im Winter erneut ins Engadin zu kommen gedenkt, obwohl ihm Schnee und Wintersport Fremdwörter sind. Und wir merken, dass wir endgültig angekommen sind im Tummelfeld der Reichen und Schönen. Und Hochstapler.
Nach ein paar Wegstücken mit Hindernissen, die geeignet sind, Mountainbiker zu vergraulen, queren wir das Val Bever und befinden uns bereits am frühen Nachmittag in Samedan, wo wir speisen und anschliessend unsere Bleibe für drei Nächte aufsuchen. Genügend Zeit, an den heissen 26.7.1980 zu denken, als wir in der Kapelle Altbüron…
Zusammen mit dem Last-Minute-Angebot des Hotels erhalten wir freie Fahrt auf alle Oberengadiner Bergbahnen. Wir werden die zwei letzten Etappen morgen und übermorgen unter die Füsse nehmen und einen Ausreisser mit der Bahn auf den Piz Nair unternehmen. Den im Unterengadin eingesparten Tag benützen wir dann am Abreisetag als Gipfelstürmer auf weitere Ausflugsziele.
Achter Tag: Samedan – St. Moritz
Am zweitletzten Tag werden uns über tausend Höhenmeter Steigung zugemutet. Bis zur Waldgrenze schlängelt sich die Kiesstrasse mit moderaten Steigungsprozenten. Für Mountainbikers bestehen alle fünfhundert Meter Markierungen zur Leistungskontrolle. Die zeitweiligen Tiefenblicke ins Tal gehören dem urbanen Samedan mit seinem Flughafen und der Umgebung. Ab Alp Muntatsch fällt die Bewaldung weg und die Via Engiadina gibt freie Sicht auf das Oberengadin, während sie mählich Höhe zulegt. Der Pfad ist nur mehr in Einerkolonne zu begehen, ausserdem bedienen sich seiner auch Mountainbiker. Leider können wir die erarbeiteten Höhenmeter nicht halten und müssen Richtung Marguns wieder absteigen. Von dort fehlen uns beschwerliche zweihundert Meter zum höchsten Punkt des Engadiner Höhenweges in Corviglia, 2486 m ü. Meer.
Dort angekommen, verlassen wir unsere Route für den Aufstieg mit der Luftseilbahn auf den 3056 Meter hohen Piz Nair. Wie bereits seit Stunden, aber jetzt von ganz oben, verzaubern uns die Seenlandschaft und die Bergkrone rundum mit den vielen schneebedeckten Gipfeln. Auch auf dem Piz Nair liegen noch vereinzelte Schneefelder, zum Vergnügen der Kinder. Das Gipfelrestaurant und die Bahn, das sei erwähnt, sind für einen Samstag nur mässig belegt. Dabei sind doch alle Bergbahnen des Oberengadins ab zwei Hotelübernachtungen gratis zu benutzen. Man darf solche Aktionen mit Fug als Zeichen einer Malaise für die Tourismusregion deuten. Das tut natürlich dem grandiosen Panorama keinen Abbruch. Der St. Moritzer See und noch etwas schriller der Silvaplanersee spiegeln den blauen Himmel, während die Dreitausender am Horizont sich teils mit Wolkenschlieren verzahnen.
Nach der Talfahrt folgen wir ab Corviglia wieder der Via Engiadina bis zur Bergstation der Signalbahn, von wo wir morgen den Weg nach Maloja fortsetzen und beenden werden. Mit ebendieser Seilbahn erreichen wir das sommers etwas weniger mondäne St. Moritz .
Neunter Tag: St. Moritz – Maloja
Der finale Wandertag wird zu unserem längsten. Erst um 16.00 Uhr klatschen wir uns am Ziel ab. Entgegen allen vergangenen acht Tagen ist der Himmel frühmorgens bedeckt und die Berge verhüllen sich in Wolken. Das ändert sich nicht, als wir mit der Signalbahn ab St. Moritz Bad unseren Ausgangspunkt erreichen. Die ersten Aufnahmen vom trüben Silvaplanersee werden bewusst gemacht, man weiss ja nicht, ob er sich später unseren Linsen nicht ganz entzieht. Der Höhenweg folgt auf einer Höhenkurve knapp über der Waldgrenze. Wie die Stunden dahin schmelzen, bessert sich die Sicht. Der Seespiegel geizt nicht, sein hochkarätiges Smaragd-Grün aufzusetzen. Das lockt Wind- und Kitesurfer im Dutzend an. Wir erinnern uns an die Ski Langlaufwochen der vergangenen Winter auf den gefrorenen Engadinerseen.
Oberhalb von Silvaplana queren wir die Julierpassstrasse und bewegen uns immer näher zum Talboden, den wir bei Sils Maria kurz erreichen. Der Silsersee präsentiert ein etwas bescheideneres Blau, während wir in ständigem Auf und Ab zwischen Waldzonen und Steinwüsten Maloja zuwandern. Bei Grevasalvas, bekannt als Weiler, wo der Heidifilm gedreht wurde, sind wir wieder über der Waldgrenze. Der Malojawind trocknet uns den Schweiss von der Stirn, wir befinden uns auf Bergeller Boden. Am ganzen heutigen Sonntag sind uns vielleicht zwanzig Personen begegnet, meistens Familien, doch wir sind nie von jemandem überholt worden. Und zwar seit Vinadi am ersten Tag.
Abschliessend bewältigen wir noch den happigen Abstieg nach Maloja, den wir von einer früheren Wanderung über den Lunghinpass her kennen.
Was uns am meisten freut, ausser, dass alles gut gegangen ist, wie man zu sagen pflegt, ist, dass wir auf der gesamten Reise nie verregnet wurden, obwohl es beinahe täglich gelegentlich geregnet hat. Das war manchmal kurz und heftig, aber immer abends oder nachts, wenn wir in der Unterkunft waren. Mit Ausnahme des letzten Tages präsentierte sich der Morgenhimmel immer makellos, begannen sich gegen Mittag erste weisse, dann dunkle Wolken aufzutürmen, was die Hitze in Schach hielt. Obwohl wir bis fast 2500 Meter über Meer hinauf gestiegen sind, brauchte ich meine Wind- und Regenjacke dabei kein einziges Mal. Ich würde für eine nochmalige mehrtägige Tour in den Alpen wiederum den Hochsommer wählen.
29.7. 2013 Abreisetag
Der Personenverkehr zwischen den Ortschaften des Oberengadins wird im Tarifverbund von vier Körperschaften abgewickelt:
° Engadin Bus
° Rhätische Bahn
° Postauto
° Ortsbus St. Moritz
Diese Firmen sollen sich ergänzen und nicht konkurrenzieren. Es ist in der Theorie nicht ganz banal, sich ‚seinen’ Fahrplan zu erstellen, sofern er die Bergbahnen einbezieht, da man auf die Betriebszeiten letzterer keinen Einfluss hat. Im Nachhinein sah unser Abreisetag wie folgt aus:
Montagmorgen um sieben war die Alpenwelt noch in Ordnung: Strahlendblau. Doch bereits um halb neun regnete es in Strömen. Auf der Bergstation Corvatsch, 3303 m ü. Meer, die wir nichtsdestotrotz mit unserem Freipass aufsuchten, stürmte es dermassen, dass wir uns nur kurz aus dem Gipfelrestaurant wagten. Mit mässigem Genuss, was die Sicht betraf. Dessen ungeachtet startete eine 15er Gruppe Japaner von der Mittelstation aus in Richtung Fuorcla und Rosegtal. Wie wir wieder auf der Mittelstation Murtèl eintrafen, gesellten sich die vom Wetter völlig zerzausten Japaner nach Abbruch ihrer Expedition zu uns in die Kabine Richtung Tal.
Auf der Diavolezza, 2798 m ü. Meer, die wir anschliessend aufsuchten, tummelten sich grossmehrheitlich japanische Touristen. Kaum dass sich die Regenböen etwas lichteten, strömten sie vom Gipfelrestaurant hinaus und fotografierten die Gletscher Pers und Morteratsch vor ihren beeindruckten Augen. Am Horizont tat sich für Minuten der blaue Himmel auf. Ihr Tag war gerettet, morgen geht’s in ihre Heimat zurück.
Das galt für uns schon nach der Gipfelrösti, dem Teller Spagetti Diavolezza und dem Gipfeltrunk. Die mit uns talwärts fahrenden Japaner wurden an der Talstation Bernina Diavolezza sogleich abgelöst von einer neuen Gruppe aus dem Reich der aufgehenden Sonne. ‚Unsere’ Gruppe bestieg den Zug Richtung Berninapass ins Puschlav, während wir uns unter einer nunmehr wärmenden Nachmittagssonne vom Engadin ins Unterland verabschiedeten.
http://www.wandersite.ch/ViaEngiadina.html <== unsere Quelle vor der Reise.
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Hoi Joe
Wieder mal einen beeindruckende Bericht und wunderschöne Foto’s – also 10 Tage wo mehrere 700 bis 800 Höhenmeter hatten – respekt.
Weiss nicht ob meine beine in so eine guten Zustand sind, dass ich hier mithalten könnte.
Wir waren auch einmal in den Engardiner naturpark wandern – 6 Stunden, es ist aber lange her, wo meine Kondition ein bisschen besser war.
Danke dass ich deine Reiseberichte leden darf.
Liebe Grüsse aus Zug
Ole G
Wie immer ein toller Reisebericht! Nachträglich noch alles Gute zu eurem 33-jährigen Hochzeitstag!